"Wir werden nicht mit Blumen beworfen werden"

1.4.2019, 17:55 Uhr

© Grafik: Stadt Gunzenhausen

Selten war der Stadtrat vor eine so schwere Entscheidung gestellt, da waren sich die meisten Redner einig. Egal, für was das Stadtparlament sich am Ende aussprechen werde, es werde immer "Gewinner und Verlierer" geben, erklärte etwa der CSU-Fraktionsvorsitzende Manfred Pappler. "Wir werden nicht mit Blumen beworfen werden", formulierte es Dr. Hans-Peter Neumann (SPD) und meinte damit: "Wir können es nur falsch machen." Letztendlich war es eine Frage, die jeder Stadtrat nach "bestem Wissen und Gewissen" für sich selbst beantworten musste, ging die SPD-Fraktionsvorsitzende Angela Schmidt mit ihrem CSU-Kollegen konform.

Mit 70 Hektar ist der größte Teil des Waldes in Besitz des Freistaats. Dort wird — diese Entscheidung hatte Bernhard Wallraff, stellvertretender Leiter der Bayerischen Staatsforsten bei der Bürgerversammlung vor rund zwei Wochen verkündet — der Schwammspinner heuer nicht bekämpft. Man müsse jetzt aber nicht glauben, "dass es die Natur schon richten wird", machte Fitz in der Sitzung deutlich, vielmehr "müssen wir uns darauf einstellen, dass ein großer Teil des Waldes absterben kann".

20 Hektar Fläche besitzen Stadt (16) und Hospitalstiftung (4) im Burgstall, die restlichen 23 Hektar sind in privater Hand. Die Areale der Stadt sind vor allem Richtung Frickenfelden gelegen, aber auch direkt am Flugplatz und unterhalb des Krankenhauses. Angesichts dessen sei es doch sehr zweifelhaft, dass einem eventuellen Antrag auf punktuelle Bekämpfung aus der Luft überhaupt zugestimmt werde, war sich Friedrich Kolb (CSU) bewusst. Dennoch sprach er sich dafür aus. Es gelte, den Burgstallwald als Lebensgrundlage für Tiere, aber auch Menschen, zu retten. Was die Skepsis gegenüber dem Hormon Mimic betreffe, vertraue er den Fachleuten. Auch Neumann war der Überzeugung, dass mit der Hauptfläche die Entscheidung ja eigentlich schon gefallen war. Dennoch hätte er eine Bekämpfung des Schmetterlings beantragt, da der Burgstall seine wichtige ökologische Funktion – etwa als zentrale Frischluftader der Stadt – nicht mehr wahrnehmen könne, wenn er absterbe.

Werner Falk ging es in dieser Sache "vorrangig um das Wohl der Menschen", für die der Wald wichtige Erholungsfunktion habe. Man dürfe "das funktionierende Ökosystem nicht sehenden Auges ins Verderben schicken". Er brachte auch den Wald als "Sparbüchse des Waldbauern" in Erinnerung und mahnte Entschädigungsleistungen an, denn was der Staat hier mache, komme "einer unterlassenen Hilfeleistung" gleich.

Dr. Werner Winter (FW) zog den Vergleich mit der Strahlentherapie bei Krebs heran. Strahlen seien im Prinzip auch tödlich, hier würden sie aber gezielt eingesetzt. Gleiches gelte für das Hormon Mimic. Winter rechnet vor, dass bei der von Fitz genannten Verdünnung ja nur "zwei Tropfen pro Quadratmeter" zum Einsatz kämen und bezweifelte, ob davon überhaupt etwas den Boden erreichen würde. Damit lieferte der Unterwurmbacher Manfred Pappler eine Steilvorlage: Wenn zwei Tropfen ausreichen, "dann muss das Zeug verdammt giftig sein", war sein Umkehrschluss. Für den ehemaligen Rektor der Grundschule Süd stand bei seiner Entscheidung vor allem der Schutz des Trinkwassers im Mittelpunkt, bei der Bürgerversammlung war mehrfach darauf hingewiesen worden, dass Mimic für Wasserlebewesen höchst giftig sei. Dem schloss sich auch sein Fraktionskollege Karl Gutmann an, man sehe ja schon, wie viel Wasser durch einen Tropfen Erdöl verunreinigt werde. CSU-Stadtrat Fritz Ortner dagegen sprach von "Hysterie", wetterte gegen die "grüner als grüne" Bürgerversammlung und merkte an, dass man wenigstens eine Vergleichsfläche habe, wenn man die städtischen Flächen besprühe.

Für Angela Schmidts Nein waren vor allem die fehlenden Langzeitstudien, was Mimic in den Böden anrichtet, ausschlaggebend. Sie zitierte Dr. Ralf Straußberger, den Waldreferent des Bundes Naturschutz, der in der Bürgerversammlung von Wäldern in Polen und Rumänien berichtet hatte, in denen der Schwammspinner schon lange aktiv sei und die nicht abgestorben seien. Ihr Fraktionskollege Alfred Müller dagegen würde zwar in seinem Garten prinzipiell keine "Insektizide oder Pestizide" einsetzen, im Burgstall liegt für ihn der Fall aber anders, der Wald könne mittels Mimic gerettet werden.

Für die Grünen, die die Debatte im Stadtrat durch ihren Antrag angeschoben hatten, sprach Christoph Mötsch. Auch er brachte das Argument an, dass die Auswirkungen von Mimic auf die Böden – trotz langjährigem Einsatz im Obst- und Weinbau – noch viel zu wenig untersucht seien und riet zu einem Blick über die Grenzen: Sowohl die Schweiz als auch Österreich verzichten nach seinen Worten auf die chemische Keule in ihren Wäldern, auch in den USA habe man die Gleichung "je mehr ich spritze, desto mehr Schwammspinner bekomme ich" langsam kapiert.

Dass es die Natur sehr wohl richten kann – das wurde von den Befürwortern des Mimic-Einsatzes bestritten – zeige das Beispiel Dorsbrunn. Dort gab es im vergangenen Frühjahr Besorgnis erregend viele Eigelege an den Bäumen, der befürchtete Kahlfraß blieb aber aus. Man soll doch "lieber mal den Wald arbeiten lassen", so Mötsch.

Es war, das war in fast allen Wortbeiträgen zum Ausdruck gekommen, für alle eine sehr schwierige Entscheidung. Am Ende fand sich unter den 20 anwesenden stimmberechtigten Mitgliedern eine knappe Mehrheit, die den Antrag der Grünen, auf Gifteinsatz im Burgstall zu verzichten, befürworteten. Es waren dies Manfred Pappler, Karl Gutmann, Inge Meier (CSU), Angela Schmidt, Bianca Bauer, Daniel Hinderks, Monika Wopperer, Cornelia Röhl (SPD), Christoph Mötsch, Helga Betz (Grüne) und Gerhard Baumgärtner (FW).

Die Sitzung war wegen des großen öffentlichen Interesses in die Mensa der Stephani-Schule verlegt worden. Das erwies sich angesichts der vielen Zuhörer als richtig. Dass das Thema ein sehr emotionales ist, merkte man an den Reaktionen aus dem Publikum: Es gab lauten Beifall von Befürwortern wie Gegnern einer Bekämpfungsaktion und Zwischenrufe. Fitz mahnte mehrfach und erfolglos zur Ruhe. "Wir sitzen hier nicht in einer Talkshow", kommentierte Kolb dieses Verhalten.

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