Heute Schulstart in Bayern: "Sprachgewandtheit nimmt ab"

11.9.2018, 05:44 Uhr
Heute Schulstart in Bayern:

© Patrick Pleul/dpa

"Die Sprachgewandtheit der Kinder nimmt ab", schlug die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann, dieser Tage Alarm. "Die Flexibilität im Wortschatz sinkt: Die Kinder sprechen immer eintöniger"

Die Nürnberger Grundschulrektorin Heidi Mauder, kann die Klagen Simone Fleischmanns aus ihrer 25-jährigen praktischen Erfahrung heraus bestätigen. "Aber man muss diese Entwicklung sehr differenziert sehen“, mahnt Mauder. "Die Schere geht immer weiter auf." Neben Kindern, die starke Defizite im sprachlichen Ausdruck aufweisen, gebe es auch auffallend eloquente Schülerinnen und Schüler. „Das Mittelfeld bricht weg.“ Die einen können kaum komplette Sätze bilden, die anderen sind auf einem ungewöhnlich hohen Sprachniveau. Für die Lehrkräfte, die alle Schüler in der Klasse erreichen müssen, erschwert das den Unterricht.


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Die mangelhafte Sprachkompetenz vieler Kinder wird auch bei den verpflichtend im Jahr vor der Einschulung durchgeführten Schuleingangsuntersuchungen seit längerem registriert. Birgit Groghammer vom Nürnberger Gesundheitsamt bestätigt: "Die Sprachauffälligkeiten werden häufiger. Dazu zählen vor allem Wort- und Satzbildungsstörungen, aber auch Lautbildunsstörungen." Laut Bayerischem Gesundheitsministerium gab es im Schuljahr 2014/15 bei jedem vierten Vorschulkind solche Auffälligkeiten, zehn Jahre zuvor sei das nur bei jedem fünften der Fall gewesen.

Förderung der Muttersprache wirkt sich positiv aus 

Die Gründe für die negative Entwicklung sind vielfältig. Die Mitarbeiter der Gesundheitsämter registrieren bei ihren Untersuchungen überproportional viele Sprachdefizite bei Kindern aus Migrantenfamilien.

Grundschul-Praktikerin Heidi Mauder legt allerdings auch bei diesem Punkt großen Wert darauf, die Dinge nicht zu eindimensional zu bewerten. "Ich habe als Lehrerin viele Kinder mit Migrationshintergrund erlebt, die einen besseren Wortschatz hatten als deutsche." Durch die Zwei- und Mehrsprachigkeit, die Zuwandererkinder oft mitbringen, machen sie ihre frühen Defizite im Deutschen meist schnell wett. "Auch die Förderung in der Muttersprache", sagt Heidi Mauder, "wirkt sich nämlich positiv auf den deutschen Wortschatz aus."

Expertin spricht von "Wohlstandsverwahrlosung" 

Womit man bei den Ursachen der zunehmenden sprachlichen Rückstände Sechsjähriger wäre. Und da sind sich die Experten einig: Immer mehr Eltern haben beziehungsweise verwenden für ihre Kinder zu wenig Zeit, sie sprechen zu wenig mit ihnen, kümmern sich zu wenig. Und Rektorin Heidi Mauder ist die Feststellung wichtig, "dass das nicht nur bei den sogenannten sozial schwachen Familien so ist." Kinder, die schon im Vorschulalter zu viel vor dem Fernseher sitzen oder mit digitalen Medien ruhiggestellt werden, die gebe es auch in Familien, denen es wirtschaftlich an nichts fehlt. "Dieses Phänomen ist auch Teil einer Wohlstandsverwahrlosung", sagt Mauder.

Was Pädagogen heute Eltern zur Sprachförderung raten, das war früher in den meisten Familien schlicht der normale Umgang mit Kindern. "Regelmäßiges Vorlesen, mit dem Kind über Alltagstätigkeiten sprechen, ihm beispielsweise beim Kochen in der Küche Handlungsschritte erklären – das reicht völlig", sagt Heidi Mauder. "Französisch- oder Chinesischkurse sind nicht nötig."

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