„Hirnjogging ist blanker Unsinn“

25.3.2016, 19:16 Uhr
„Hirnjogging ist blanker Unsinn“

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Herr Beck, macht Essen schlau?

Henning Beck: Essen Sie doch, was Sie wollen! Das körperliche Wohlgefühl lässt sich durch bewusste Ernährung erhöhen, nicht aber das Denkvermögen. Außer etwa Drogen können keine Stoffe direkt in das Gehirn vordringen. Wer glaubt, Schokolade erleichtere das Denken, müsste täglich 30 Tafeln davon mit hohem Flavonoiden-Gehalt essen, damit überhaupt ein schwacher Effekt messbar ist. Brainfood ist eine Erfindung der Lebensmittelkonzerne. Im Alter von etwa 24 Jahren ist das Gehirn fertig ausgebildet.

 

Lässt sich Intelligenz antrainieren?

Beck: Durch Training kann man sich zum Beispiel in einem Spiel perfektionieren oder mit Eselsbrücken dem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge helfen. Aber all das sind Abkürzungen, die die Effektivität erhöhen. Das hilft, entspringt jedoch nicht einer Leistungssteigerung des Gehirns. Hirnjogging ist blanker Unsinn.

 

Der Computer ist besser im Rechnen. Und wofür steht das Hirn?

Beck: Das Gehirn ist mit gar nichts vergleichbar, auch nicht mit einem Computer. Der rechnet zwar schneller und macht dabei viel weniger Fehler. Das Gehirn dagegen hat keine Festplatte mit besonderen Speicherorten — die gibt es überall. Das Denkorgan funktioniert als Netzwerk mit Mustern, die blitzschnell erkannt werden. Es ist Hard- und Software zugleich, und kein Chef gibt im Kopf die Richtung vor. Wir haben zehn hoch 241 Billionen theoretische Möglichkeiten, uns etwas zu merken. Wahnsinn! Das soll ein PC mal nachmachen.

 

Nervenzellen gehen mit der Zeit verloren — unwiederbringlich?

Beck: Selbst ein Profi-Fußballer, der 900 Kopfbälle im Jahr abgibt, kann beruhigt sein: Hört er nach Jahren mit diesem Sport auf, erholt sich das Hirn wieder, die Merkfähigkeit nimmt zu. Das Gehirn verfügt über eine unglaubliche Plastizität. Leider: Es gibt natürlich Krankheiten, die es dauerhaft schädigen. Bei stark mangelernährten Kindern erholt sich das Denkorgan nie wieder.

 

Ist Multitasking erlernbar?

 Beck: Jeder kann sich nur auf ein bis zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren. Wer mehr will, verliert die Präzision. Bei Tests schneiden die am besten ab, die ihr Umfeld komplett ausblenden können. Das Gehirn ist nur morphologisch in linke und rechte Hälfte aufgeteilt. Alle Trainings, die beide Hälften verbinden wollen, laufen ins Leere. Die Hirnhälften sind schon durch viele Fasern miteinander verbunden. Genau hierin liegt die Kreativität. Deshalb ist es Quatsch, die noch durch Übungen verbinden zu wollen.  Es lassen sich längst nicht alle Phänomene mit Ergebnissen aus der  Hirnforschung erklären. Die Psychologie, Pädagogik und andere haben ihre Berechtigung. Wir sehen ja in den Hirnscans immer nur, welche Areale gerade aktiviert sind. Warum und wozu – das weiß keiner.

 

Lassen sich Glücksgefühle steuern?

Beck: Positive Überraschungen sind das Beste, das passieren kann. Deshalb funktionieren Bonussysteme von Firmen auch so schlecht. Nur das, was die Erwartungen übertrifft, führt zu Euphorie.

 

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