"Hoden- und Tittenhalle": Rätsel der Lusthöhle gelöst

17.4.2016, 05:58 Uhr
Die Ritzungen und Cave Clouds in der Mäanderhöhle wurde mit einem 3D-Scanner untersucht.

© Karina Rottner Die Ritzungen und Cave Clouds in der Mäanderhöhle wurde mit einem 3D-Scanner untersucht.

Weltberühmt sind großflächige Höhlenmalereien in Südwestfrankreich. Großen wissenschaftlichen Wert haben auch die Elfenbeinfiguren und andere steinzeitlichen Kunstobjekte aus Höhlen der Schwäbischen Alb. Aber schematische Darstellungen von Frauenkörpern und Geschlechtsteilen, eingeritzt in fränkische Felswände - das roch im Jahr 2011 nach einer Sensation.

"Die Lusthöhle in Franken", titelte Zeit Online damals eine Geschichte über die "vorzeitliche Kapelle voller Erotik". Von einer "Hoden- und Tittenhalle" berichtete der Deutschlandfunk. Vermutlich seien dort wilde Fruchtbarkeitsfeste gefeiert worden. Es ist ein "Ort voller Magie", zitierten seinerzeit auch die Nürnberger Nachrichten den Geologen und Archäologen Bernhard Häck.

Die 75 Meter lange Mäanderhöhle in der Nähe von Heiligenstadt (Landkreis Bamberg) war erst 1991 entdeckt worden. 2005 nahmen Wissenschaftler die angeblich von steinzeitlichen Menschen in die Felswände eingravierten Zeichnungen näher unter die Lupe. Das wohl etwas zu voreilige Fazit von Experten: Mit der bundesweit ältesten künstlerischen Gestaltung von Höhlenwänden zählt die Grotte zu den spannendsten archäologischen Fundorten Deutschlands.

Kugelförmige Ablagerungen

Die Fantasie angeregt hat offenbar schon der Umstand, dass ein Raum der Höhle voller kugelförmiger Ablagerungen von Mineralien ist. Diese Sintergebilde, in der Fachsprache Cave Clouds genannt, entstehen ähnlich wie Tropfsteine. Auf der steinharten Oberfläche entdeckten Höhlenforscher 2005 die angeblich von Menschen eingeritzten Linien.

Vom Altmeister der Paläolithforschung, dem emeritierten Kölner Professor Gerhard Bosinski (79), heißt es, er habe die Gravuren auf ein Alter von 14.000 bis 16.000 Jahren datiert. Die Linien stellten wohl Genitalien und abstrakte Frauenfiguren dar.

In Medienberichten war sogleich von "obszönen Rundungen" der Kalkablagerungen und von "rudimentären Aktzeichnungen" die Rede. Überall an den Felswänden erkenne man Hoden und Brüste, ein Höhlendurchgang gleiche "einer riesigen Vulva". Es bestehe kein Zweifel: Gravuren und eingeritzte Linien seien keine zufälligen Kritzeleien.

138 Linien untersucht

Auch ein Vorsatz ist allerdings auszuschließen, weil sie auf natürliche Weise entstanden sind, meint Julia Blumenröther. Die 27-Jährige hat für ihre Abschlussarbeit am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Uni Erlangen-Nürnberg insgesamt 138 Linien mit modernsten Technologien untersucht.

Verlauf und Querschnitt sämtlicher Linien widersprechen der These einer von Menschenhand erzeugten Gravur mit einem spitzen, harten Gegenstand, ist sie überzeugt. Aus keiner der Darstellungen lasse sich "ein irgendwie bekanntes altsteinzeitliches Motiv" ableiten. Es fehlten sowohl Steinwerkzeuge in der Höhle als auch der archäologische Zusammenhang. Die erste Bewertung 2005 sei offenbar "sehr überstürzt" erfolgt.

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