adidas-Legenden treffen auf Wissenschaft

2.12.2018, 09:00 Uhr
adidas-Legenden treffen auf Wissenschaft

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Wie kam es zum legendären Kontakt zwischen dem Sprinter Jesse Owens und Adi Dassler bei den Olympischen Spielen 1936 während des Nationalsozialismus?

Welche Umstände führten dazu, dass Muhammad Ali Siege in adidas-Boxerschuhen erkämpfte? Hat adidas in der DDR produzieren lassen?

Wie enstand ein Lizenzvertrag zwischen adidas und dem sowjetischen Außenhandelsunternehmen Licensintorg 1978? Wie geschah es, dass die Dassler-Familie den Einfluss auf das Unternehmen verlor?

Warum geriet adidas Anfang der 1990er Jahre in eine existenzielle Krise? Und wie erklärt sich der aktuelle Erfolg von adidas als Lifestyle-Unternehmen?

Fragen von Journalisten, Fragen der Belegschaft, Fragen der Bürger: Spätestens mit den beiden Verfilmungen des "Bruderkampfs" zwischen adidas und Puma wurde deutlich, dass viele Aspekte der historischen Wirklichkeit inzwischen zu Legenden wurden, verfälscht, vergessen wurden. Auf RTL war 2016 ein Zweiteiler mit Ken Duken als Adi Dassler ausgestrahlt worden, der sich reichlich künstlerische Freiheit nahm. 2017 war eine genauer recherchierte Verfilmung mit Christian Friedel als Adi Dassler in der ARD zu sehen.

Quellensuche

Auch diese Projekte waren Anlässe für adidas, vier Geschichtsforscher mit Schwerpunkt Firmenhistorie auf das Thema anzusetzen. Der äußere Grund überdies: 2019 feiert adidas 70 Jahre Bestehen.

Quellenstudium im Stadtarchiv Herzogenaurach, im Archiv der "Adi & Käthe Dassler Memorial Stiftung" in Geschäftsberichten, Verträgen, Korrespondenzen, persönlichen Unterlagen, Bucherzeugnissen, Presseartikeln war gefordert, um die sechs großen Themenkomplexe fassen zu können.

Das Unternehmensarchiv von adidas befindet sich derzeit im Aufbau – eine Begleiterscheinung des Forschungsprojekts. Das hieß jedoch auch für das Projekt, zunächst Quellen zu finden. Viele Akten aus dem DFB- oder dem FIFA-Archiv sind nicht zugänglich. Recherchiert und geschrieben wurden die Kapitel mit wissenschaftlicher Herangehensweise von den Historikern Rainer Karlsch (München/Berlin), Christian Kleinschmidt (Marburg), Jörg Lesczenski (Frankfurt/M.) und Anne Sudrow (Potsdam/Berlin). Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte leistete wertvolle Forschungshilfen.

"Das Unternehmen Sportschuh-Fabrik Gebrüder Dassler. Von der Gründung bis zum Ende von Nationalsozialismus und Entnazifizierung (1919 bis 1948)" lautet das erste Kapitel. Es befasst sich auch mit der auch in Herzogenaurach oft gestellten Frage, welche Rolle Rudolf und Adolf Dassler während der Nazizeit spielten. Ferner wird auf den intensiven Einfluss des NS-"Reichssportlehrers" Josef Waitzer eingegangen. Illustriert werden diese Texte auch mit weithin bekannten Fotografien.

Beim Klassiker-Bild der beiden Brüder mit zwei Frauen und zwei Firmenrepräsentanten werden Herzogenauracher sogleich einen Fehler finden: die junge Frau rechts hinten bildet nicht Käthe Dassler ab.

Wie das "System Adi Dassler" mit "familiärer Markenführung" funktionierte, die Medialisierung und Ausrichtung auf sportliche Großereignisse, dies behandelt der Abschnitt "Das andere ,Wunder von Bern‘. Der Aufstieg von adidas und markenorientierte Unternehmensführung nach dem Zweiten Weltkrieg werden erläutert.Mit vielen Internas zur Familiengeschichte versehen ist das Kapitel "Vom Familienunternehmen zur Aktiengesellschaft (1948 bis 1995)".

Dies zeichnet auch die Einschnitte in der Firmengeschichte nach, den Tod Adi Dasslers 1978, den Tod seiner Frau Käthe 1984 und den Tod des Sohnes Horst Dassler 1987, der als einer der Strategen für die Kommerzialisierung nicht nur des Sports, sondern auch von sportlichen Großereignissen gilt.

Die "Ostverträge" von adidas

Den Kampf der Familienzweige um das Erbe, die Phasen mit dem schillernden Investor Bernard Tapie und schließlich Vorstandsvorsitzendem Robert Louis-Dreyfus, der Mitte der 1995 mit adidas als Aktiengesellschaft den wirtschaftlichen Turnaround schaffte, behandelt dieser Teil.

Faszinierend auch ein vielfach unbekanntes Unternehmenskapitel, die "Ostverträge" von adidas mit dem Deutschen Turn- und Sportbund der DDR. Beschrieben sind die Lohn- und Lizenproduktionen in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn, die Geschäftsbeziehungen zur UdSSR. Brigitte Baenkler-Dassler, die hervorragend Russisch sprach, spielte dabei eine wichtige Rolle.

Wie die Markenorientierung in die Orientierung auf das Marketing verwandelt wurde behandelt schließlich das letzte Kapitel. Die Recherchen enden mit dem Jahr 2001, als Herbert Hainer Vorstandsvorsitzender bei adidas wurde. Ein umfangreicher Anmerkungsteil, Quellenverzeichnis und Personenregister machen das Werk zu einer Grundlage für die Weiterforschung – dies gaben die Autoren auch als Anregung mit.

Das Buch ist erschienen im Siedler Verlag, München, 1. Auflage Oktober 2018. 170 Abbildungen. ISBN 978-3-8275-0122-6

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