Das Osterlamm kann die Branche nicht retten

20.4.2014, 09:00 Uhr
Das Osterlamm kann die Branche nicht retten

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Das Stalltor ist noch gar nicht ganz offen, schon drängeln die Schafe ins Freie, raus in die Sonne, auf die Wiese, wo frisches Gras wächst. Der Staub am Boden wirbelt auf, während dutzende Schafe auf die Weide traben. Sie blöken, meckern und schreien so laut, dass man den Hund kaum noch bellen hört. „Das sind die jungen Lämmer, die einen solchen Krach machen“, sagt Klemens Roß, der die Schäferei seit Jahrzehnten leitet. Die Lämmer, kaum älter als ein paar Tage, suchen ihre Mütter, die Muttertiere blöken laut nach ihren Kindern. „Normal ist das nicht so laut.“

Gut für den Schäfer, denn eigentlich ist es die Stille, die er an seinem Beruf so mag. Die Ruhe der Natur, die Einsamkeit und Abgeschiedenheit. Tagelang begegnet Roß oft keiner Menschenseele, wenn er mit seinen 700 Schafen übers Land zieht. Langeweile kommt dennoch keine in ihm auf. Der 52-Jährige beobachtet die Tiere. Er kennt jedes einzelne, weiß um die Stärken und Schwächen seiner Schafe und weiß, wer in der Herde den Ton angibt.

Um ihn herum passiert so viel, schildert der Schäfer. Die Natur verändert sich Tag für Tag, Pflanzen wachsen, blühen auf, verwelken wieder. „Es erfüllt mich, das zu beobachten.“

Nachts schläft Roß in einem Wohncontainer, tagsüber hütet er seine Schafe, egal, ob es regnet, hagelt oder der Wind pfeift. In dieser Woche hat die Saison begonnen. Roß und seine Schafe haben den heimischen Stall in Lonnerstadt verlassen. Bis zum Winter ziehen sie über die Wiesen quer durch Franken. Nur alle zwei Wochen kommt Roß nach Hause. Urlaub gibt es für ihn nicht — die Tiere müssen versorgt werden. 365 Tage im Jahr.

Trotz der Mühen, die Roß auf sich nimmt — eine Goldgrube ist die Schäfer-Branche keineswegs. Einst war es das Fleisch, das das große Geld brachte. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Das Schlachten hat Roß längst aufgegeben — bei den EU-Vorschriften für Schlachtbetriebe ein einziges Minusgeschäft, erzählt er. Hinzukommt das Billigfleisch, in Massen aus dem Ausland importiert, das mit Dumpingpreisen die heimische Branche schwer beschädigt und vielerorts verdrängt hat. Auch die Wolle seiner Merino-Schafe bringt kein Geld mehr ein. „Ein Nullgeschäft“, klagt Roß. Seine Haupteinnahmequelle ist inzwischen das Geld, das er als „Dienstleister“ bekommt.

Eine Aufwandsentschädigung des Staates, die er für die Naturschutzpflege erhält, die seine Schafe durch das Weiden betreiben. Roß leitet die Schäferei in fünfter Generation. Auch seine Tochter, 20 Jahre alt, hat eine Ausbildung zur Schäferin gemacht. Sie ist gerade in Elternzeit. Doch ob sie oder später ihr Sohn den Betrieb in einigen Jahren noch halten können? Roß hat da so seine Zweifel. Es könnte das Ende einer Ära sein, fürchtet er. „Viel Zukunft hat die Branche nicht“, steht für ihn fest.

Branche am Ende?

Eine Entwicklung, die auch der Berufsverband der Schäfer prognostiziert. Die Zahl der Betriebe und der gehaltenen Schafe sinkt demnach ständig. Das Durchschnittsalter der Schäfer beträgt 56 Jahre, junge Menschen entscheiden sich nur selten für den Beruf. kein Wunder, der Stundenlohn beträgt im Schnitt 4,85 Euro, rechnet der Verband vor.

Trotzdem ist Roß mit dem Herzen bei seiner Arbeit. Er genießt die Sommermonate und empfindet den Winter im Dorf als „anstrengend“. Früher war das freilich anders. An seinem ersten Arbeitstag — Jahrzehnte ist das her — hat er alle paar Minuten auf die Uhr geschaut. „Die Zeit verging einfach nicht.“ Eine Uhr trägt er längst nicht mehr, am Licht erkennt er, wie spät es ist und wie lange es dauert, bis sich der Tag dem Ende zuneigt.

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