Thermomix: Der Kochtopf mit Köpfchen

28.4.2015, 18:07 Uhr
Thermomix: Der Kochtopf mit Köpfchen

© Matthias Kronau

Neben Omas Büfett und dem Brotkasten aus schrundigem Emaille wirkt der Neue noch ziemlich fremd in meiner Küche. Blitzblank, technisch, geheimnisvoll thront er auf der Arbeitsfläche – wie ein Astronaut im Hochbeet. Einer wie er braucht einen prominenten Standort und ständig Action. Nur dann ist er sein Geld wert: 1109 Euro. Was er dafür leistet, führen mehr als 30 000 Berater(innen) der Wuppertaler Herstellerfirma Vorwerk in den Wohnungen dieser Welt vor.

Unter sieben neugierigen Augenpaaren geht die Show eines Abends auch bei mir zu Hause über die Bühne. Es gibt: Baguette mit Aufstrich, Brokkolisalat, Gemüse mit Reis und Sauce, Fruchteis.

Während der Thermomix surrt, rattert, singt und blinkt, schnurrt die Frau an seiner Seite herunter, was der Teufelskerl so alles drauf hat: wiegen, mixen, mischen, zerkleinern, mahlen, kneten, schlagen, rühren, emulgieren, dampfgaren, kontrolliert erhitzen, kochen. Alles in einem Topf, alles mit einem Messer. Nichts läuft über, nichts brennt an. Chip andocken, Knopf drehen, hie und da auf den Touchscreen tippen — so führt der eingebaute Prozessor durch zig Rezepte. „Guided Cooking“, sagt die Vorführdame und bittet zu Tisch. „Kochen mit Gelinggarantie.“ Wir nicken, kosten, nicken heftiger. Doch, es schmeckt.

Dass er, fürs Brot, eben noch mit Getöse wie Hagelschlag Getreidekörner zerschmettert hat — beim Essen ist es nun fast vergessen. Einen Leisetreter holt man sich mit ihm definitiv nicht ins Haus. Bis er zu mir kam, vergingen schlappe elf Wochen.

Wer jetzt wartet, wartet — noch länger. Seit die Firma im Herbst die erste digitale Ausgabe ihrer Allzweckwaffe auf den Markt brachte, kommt sie mit der Produktion nicht mehr nach. Neue Umsatzzahlen nennt Vorwerk erst im Mai. Alle 38 Sekunden werde irgendwo auf der Welt ein Thermomix verkauft, verlautete vor einem Jahr aus Wuppertal. Mit dem TM5 dürfte sich die Schlagzahl noch erhöht haben.

Gibt es ein Leben danach?

Der Run hat die Macher überrollt: „Die Nachfrage ist riesig und liegt weit über unseren Erwartungen.“ Vorwerk produziert am Limit und richtet gerade eine neue Fertigungslinie ein. Für die Lieferzeiten entschuldigt sich die Firma, denkt aber nicht daran, ein paar Euro vom stattlichen Kaufpreis nachzulassen. Obwohl es auch andere Küchenhelden gibt, wirkt Vorwerk wie ein Wasserverkäufer in der Wüste, hat Zugeständnisse nicht nötig (siehe Info-Kasten).

In elf Wochen zwischen Bestellung und Bescherung stellen sich Sinnfragen ein, gerät manches Gespräch zur Prüfung. Kann man mit dem Thermomix einfach nur arbeiten wie mit jedem anderen seelenlosen Trumm? Ohne Statements abgeben zu müssen wie: „Ohne ihn würde sich meine Küche leer anfühlen?“ Gibt es ein Leben danach? Verliert man mit ihm das Gespür für Teig? Für Konsistenzen, Mengen, Proportionen, Temperaturen? Hatte ich das überhaupt schon mal? Und macht das wirklich froh, wenn Hackfleisch nie anbrennt, Milch nie überkocht, Soße nie klumpt?

Thermomix: Der Kochtopf mit Köpfchen

© Matthias Kronau

Mein Freundeskreis ist geteilter Meinung. Er spaltet sich in glühende Anhänger und fundamentale Gegner. Dazwischen gibt es wenig.

Die Praxis zeigt: Der TM versteht seinen Job. Hackt Zwiebeln in Sekunden. Knüppelt, auch für ihn harte Arbeit, Mandeln zu Mus. Liefert Nudeln al dente und saftigen Lachs. Backen und braten aber, das kann er nicht.

Mit Staunen registriere ich: Nicht nur Vegetarier, Veganer, Allergiker und sonstige Gesundheitsbewusste fragen mich über meinen Neuzugang aus. Auch halbwüchsige Jungs entdecken ihre Lust an programmierten Mahlzeiten, treffen sich schon mal zu Kochevents. Möglicherweise halten sie den TM für ein groß geratenes Smartphone, das Essen ausdruckt.

Für mich fühlt sich das Kochen mit ihm an wie Zeitung lesen im Internet, irgendwie körperlos. Finger in die Suppe stecken, ablecken, um zu schmecken, ob Salz fehlt? Kann man, muss man nicht. Thermomix-Rezepte sind tausendfach erprobt. Aber wer verdient das Lob, wenn’s schmeckt? Der Mensch? Die Maschine?

„Fun, Freedom . . .“

Für Frauen wie Helene Meurer ist das sonnenklar. „Fun, Freedom, Satisfaction“ bereite ihr der TM, behauptet die Kanadierin. Sie hat eigens einen „Fanblog“ eingerichtet, um der Welt ihr Glaubensbekenntnis zu verkünden. In Portugal, wo der Thermomix, wie auch in Italien — kein Witz —, „Bimby“ heißt, scheint er sogar der beliebteste Deutsche zu sein.

Dass ausgerechnet in einem der ärmsten Länder der EU ein so hochpreisiges Gerät zum Topseller wurde, erklärte ein Marketingforscher dem Wall Street Journal einmal so: Der Hersteller habe es geschafft, sein Produkt in einer Zeit, in der sich viele den Restaurantbesuch nicht mehr leisten können, „als Zeit- und Geldsparer zu verkaufen.“ Offenbar nutzen die Portugiesen ihren Bimby auf Teufel komm raus, um billiger selbst herzustellen, was im Laden teurer ist.

Thermomix: Der Kochtopf mit Köpfchen

© Matthias Kronau

Puderzucker kostet nicht nur an der Algarve mehr als Kristallzucker, sondern auch an der Aisch. Pro Kilo liegt die Differenz im Discounter bei ungefähr 50 Cent. Ließe ich meinen Neuerwerb nichts anderes tun, als in 100-Gramm-Portiönchen Zuckerkörner zu zerstäuben, hieße das: Ich müsste ihn (den Strom nicht mitgerechnet) über 20 000 Mal anwerfen, ehe sich sein Kauf amortisiert.

Thermomix: Der Kochtopf mit Köpfchen

© Matthias Kronau

Man kommt auf merkwürdige Gedanken mit dem Ding. Ein Beispiel: Ich trage Schmutzwäsche zum Waschen in den Keller, zum Trocknen auf den Dachboden und zum Verstauen zurück in den ersten Stock. Ein Thermomix würde das nie so machen. Für Gerichte, deren Komponenten zusammen auf den Teller kommen sollen, hat er einen speziellen Aufsatz-Behälter. So kocht er geordnet auf Etagen, gart Gemüse, Reis und Fisch im Dampf des Würzsuds schön übereinander.

1109 Euro also. So viel Geld hab ich noch nie für ein Küchengerät ausgegeben. Inzwischen ist mir doch mal was angebrannt — leicht, aber immerhin. Der Anblick von braunem Belag auf dem Topfboden war, nun ja, irgendwie irdisch. Gemüsematsch hab ich auch schon produziert. Manuelles Eingreifen relativiert die Gelinggarantie. Die größte Schwachstelle des TM 5 bin wohl ich. Er sieht es mir hoffentlich nach.


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