Eine Geschichte voller Zufälle

16.12.2016, 16:04 Uhr
Eine Geschichte voller Zufälle

© Thomas Hahn

Wer Tanor Ngom in die Augen schauen will, muss den Kopf weit in den Nacken legen. Mit jedem schlaksigen Schritt, den er näher auf einen zukommt, wirkt er noch ein Stück größer. Ein Stück imposanter. Schon mit 14 Jahren war er größer als sein Vater – der 1,98 Meter groß ist. Inzwischen misst Tanor Ngom 2,18 Meter, eine Zahl, die noch mächtiger erscheint, wenn der 18-Jährige vor einem steht.

Ngom lächelt viel, sein sanfter, fast schüchterner Händedruck mag zunächst gar nicht zu der beeindruckenden Erscheinung passen. Und auch sein Lebensweg klingt so gar nicht nach dem eines zukünftigen Basketballprofis. Nicht weniger als das will Tanor Ngom aber werden. Irgendwann. Der Status Quo ist weitaus weniger glamourös. Etwas nervös sitzt er in einer schmucklosen Umkleidekabine des Herzogenauracher Gymnasiums, dunkelbraune Holzbänke, die Luft etwas miefig. Gleich geht es los, Regionalliga, vierte Liga.

Für Tanor Ngom ist das schon viel, weitaus mehr, als er sich daheim im Senegal je erträumt hat. Er war keiner, der schon als Kind nichts anderes im Kopf hatte, der nach der Schule die Tasche in die Ecke feuerte und einen orangenen Ball auf einen Korb warf.

Mentor von Dirk Nowitzki

„Eines Tages haben wir in der Schule Basketball gespielt“, erzählt er. 15 Jahre ist er da schon alt, große Freude hat ihm Sport bis dahin nie bereitet. Dann das erste Spiel, er trifft, wie er will, spricht mit seinem Vater, bei einem Basketballcamp im Senegal werden die leisen Hoffnungen aber jäh beendet. „I was bad“, sagt er, ich war schlecht. Und das, obwohl zahlreiche internationale Trainer zusehen.

Doch so schnell will er nicht scheitern. Er spielt daheim im Senegal, die Infrastruktur aber ist schlecht. Auf der Suche nach einem ambitionierten Verein werden Vater und Sohn Ngom in Spanien fündig. Erst in Madrid, später in Malaga.

Einige Monate später steht er wieder auf dem Feld: Schüler gegen Lehrer an seiner Schule in Malaga. Ngom macht 40 Punkte – und Boniface N‘dong, senegalesischer Basketballstar mit viel internationaler Erfahrung, sitzt auf der Tribüne. „Seine Kinder waren auf der gleichen Schule wie ich“, sagt Ngom. Purer Zufall. Fügung. Tanor Ngom erzählt all das bemerkenswert gelassen in perfektem Englisch, er spricht Französisch, Spanisch und Wolof, das im Senegel weit verbreitet ist. Deutsch traut er sich noch nicht zu, versteht aber inzwischen fast alles.

Nach der Begegnung mit Boniface N‘dong geht alles ganz schnell. „Er hat mein Potenzial gesehen und gesagt, er will mich nach Deutschland bringen“, erzählt Ngom. Er bringt ihn zu: Holger Geschwindner, dem Entdecker und Mentor von Dirk Nowitzki. In Starnberg spielt er bei einem Camp vor, Geschwindner will sofort, dass er bleibt. Und er bleibt.

Etwas mehr als ein Jahr ist das jetzt her, mit 17 verabschiedet er sich endgültig von seinen Eltern und fünf Geschwistern in Dakar. Der Abschiedsschmerz ist groß, die Schwestern weinen, die Mutter will nicht endgültig loslassen. Doch der Traum ist größer. Als der Papierkram erledigt ist, kommt Tanor Ngom nach Bamberg, spielt eine Saison in der NBBL, wechselt dann aber nach Nürnberg.

„Ich glaube, sie haben sein Potenzial in Bamberg unterschätzt“, glaubt sein Trainer Benedikt Aumeier. Der verbringt als Coach der Herzogenauracher Longhorns in der 1. Regionalliga und der NBBL-Mannschaft der Nürnberger Falcons viel Zeit mit dem schlaksigen Hünen.

Sehr wissbegierig sei der, sehr ehrgeizig, sehr schlau, „manchmal ist er fast ein bisschen zu hart zu sich selbst“, sagt Aumeier. „Tanor ist ein angenehmer Junge mit Sinn für Humor, der viel fragt und unbedingt besser werden will.“ Sein Plus: „Für seine Größe hat er eine sehr gute Koordination“, sagt der Trainer, das sei dann doch sehr selten.

Das ganze Lob steigt Tanor Ngom aber nicht zu Kopf. Natürlich will er eines Tages Profi werden, in Nürnberg trainiert er schon mit dem Zweitliga-Team, schaut ehrfürchtig und lernwillig zu den anderen auf. „Ich will einfach nur gut spielen“, sagt er, sein größtes Ziel: „Ich will jeden Tag besser werden.“

Strahlen und pures Glück

Tanor Ngom weiß aber auch, dass einem nichts zugeflogen kommt, er trainiert hart – dreimal am Tag. Morgens stemmt er im Fitness-Studio Gewichte, „ich muss Muskelmasse zulegen“, sagt er. Mittags trainiert er mit Holger Geschwindner in Bamberg, abends pendelt er täglich nach Nürnberg, um mit den Zweitligaspielern der Falcons zu üben.

Hart sei das schon, körperlich sind ihm die meisten klar überlegen. „Lot to learn“ habe er noch, einiges zu lernen. Bald schon will er in Bamberg studieren, doch wenn er zwischendurch einfach nur ein paar Minuten Zeit für sich hat, kann er all das noch gar nicht recht begreifen: „Es ist wie ein großer Traum, der plötzlich wahr wird.“ Ein Traum, den er lange nicht einmal geträumt hat. Als Tanor Ngom diese Worte spricht, vergisst man für einen Moment seine imposante Erscheinung, der große Junge wird plötzlich ganz klein. Man sieht einfach nur einen 18-Jährigen, dessen Augen leuchten, dessen Strahlen von purem Glück zeugt.

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