Modellprojekt Inklusion

Erste Hürden wurden schon abgebaut

21.8.2017, 07:00 Uhr
Erste Hürden wurden schon abgebaut

© Foto: Annika Lang

Es gibt viele Hürden, die es Menschen mit Behinderung unmöglich machen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Diese Barrieren aufzuspüren und anschließend abzubauen, ist das Ziel des für drei Jahre vom Bezirk Mittelfranken finanzierten "Modellprojekts Inklusion, Wohnen – Mobilität – Freizeit/Kultur". Der Name macht bereits klar, dass es gleich mehrere Aufgabenfelder sind, mit denen sich drei Arbeitsgruppen seitdem auseinandersetzen.

"Menschen müssen wohnen, sie müssen sich dort, wo sie wohnen, fortbewegen können, und sie brauchen dort, wo sie wohnen, Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung", mit diesen Worten beschreibt Josef Hennemann, geschäftsführender Vorstand der Lebenshilfe Erlangen-Höchstadt das zentrale Anliegen des Modellprojekts, das keineswegs nur Menschen mit Behinderung betrifft. Doch für diese Gruppe sind die Hürden eben besonders hoch.

Wohnungsmarkt umkämpft

Auf dem hart umkämpften Herzogenauracher Wohnungsmarkt ist es nach Ansicht der Projektbeauftragten Annika Lang für Menschen mit Behinderung "alleine kaum möglich", geeigneten Wohnraum zu finden. Eine Bestandsaufnahme im Rahmen des Modellprojekts kam allerdings zu dem Ergebnis: Es gibt sehr wohl leerstehenden Wohnraum in der Aurachstadt. Vermieter und Interessenten zusammenzubringen, war also eines der wichtigsten Anliegen des Arbeitskreises, so die Projektbeauftragte.

Dazu wurde erst einmal Aufklärungsarbeit betrieben. Von welchen Leistungen und Sicherheiten können Vermieter profitieren, wenn sie der Lebenshilfe Räume für das ambulante unterstützte Wohnen vermieten? Wie lässt sich Wohnraum barrierefrei gestalten? All diese Fragen wurden im Rahmen einer Informationsveranstaltung ausführlich beantwortet. Die Resultate ließen nicht lange auf sich warten. "Inzwischen wurden zwei Wohnhäuser angemietet, die noch heuer bezogen werden", berichtet Annika Lang.

Ein weiterer "Riesenerfolg" ist in ihren Augen auch die neu geschaffene Stelle zur "Koordination für Wohnraumvermittlung und -beratung". Sie wird von der Stadt bezuschusst, ist aber bei der Lebenshilfe Herzogenaurach angesiedelt. Ab 1. September laufen dort die Fäden zusammen, wenn es darum geht, Wohnraum für Menschen mit speziellen Bedürfnissen aufzutun und zu vermitteln.

Viel bewegt hat auch der Arbeitskreis "Freizeit und Kultur". Mit "Herzo inklusiv" ist über die städtische Homepage eine digitale Plattform ans Netz gegangen, auf der Freizeit- und Kulturanbieter ihre Angebote für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung vorstellen können. Dazu gehören jetzt schon ausgewählte Kurse der vhs wie "Smovey für alle", ein Tagesausflug ins Coburger Land oder die gerade zu Ende gegangene inklusive Erlebniswoche für Kinder.

Mit der Freizeitassistenz kommt nun ein ganz neuer Service dazu, der Menschen, die auf individuelle Hilfe angewiesen sind, den Zugang zu Kultur- und Freizeitangeboten erleichtert. Ehrenamtliche, die sich in diesem Feld engagieren möchten, können sich an die Lebenshilfe wenden.

Wolfgang Jörg, Behindertenbeauftragter der Stadt und Sprecher des Projekt-Arbeitskreises Mobilität, hat für ein ähnliches, ebenfalls ganz neues Angebot schon seine konkrete Unterstützung zugesagt. Wenn die Bewohner der Einrichtung in der Einsteinstraße verreisen, ist er als ehrenamtlicher Urlaubsbegleiter mit dabei.

Um den Einstieg in solche Aufgaben zu erleichtern, bieten die Lebenshilfe und das GenerationenZentrum am 24. November eine kostenlose Fortbildung für Ehrenamtler und Honorarkräfte an, die den Umgang mit Menschen mit Behinderung zum Thema hat. Als Sprecher des AK Mobilität weiß Wolfgang Jörg: "Bei Barrierefreiheit geht es um mehr als nur um Stufen." So unterschiedlich, wie die Beeinträchtigungen sein können, so vielfältig sind auch die Anforderungen an ein hürdenloses Umfeld. Informationen sollten deshalb auf verschiedene Weise angeboten werden.

An der Bushaltestelle An der Schütt wünschte sich der Arbeitskreis, in dem auch Menschen mit Behinderung mitwirken, eine Ergänzung durch digitale Anzeigen und Ansagen. Für Rollstuhlfahrer, so ein weiteres Ergebnis einer Begehung, müsste in dem mit durchgehenden Bänken ausgestatteten Bushäuschen ein wettergeschützter Platz geschaffen werden.

Ansage per Smartphone

Einige der vorgeschlagenen Verbesserungen wurden schon umgesetzt. Manches ließ sich schnell bewerkstelligen, wie eine bessere Beschilderung der Behindertenparkplätze. Doch auch aufwändigere Maßnahmen sollen nach und nach greifen, und technische Hilfsmittel können hier viel leisten. Die gewünschte Audio-Ansage am Bushäuschen könnte bald durch eine Smartphone-App zur Verfügung stehen, die das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs in Form eines barrierefreien Onlinefahrplans zugänglich macht, sagt Lang.

Auch in anderer Form sollen die Bürger von den Resultaten der Begehungen profitieren. Lang wünscht sich einen Katalog mit den gesammelten Ergebnissen und entsprechenden Handlungsempfehlungen, der idealerweise in Zusammenarbeit mit dem Stadtmarketing erstellt und in gedruckter Form, vielleicht zusätzlich sogar digital, angeboten werden könnte. Schließlich soll das Modellprojekt einen praktischen Nutzen haben.

"Inklusion bedeutet, die richtigen Strukturen bereitzustellen, damit für alle die Möglichkeit der Teilhabe besteht", fasst Annika Lang zusammen. Nach zwei Jahren Laufzeit ist Herzogenaurach auf einem guten Weg. Möglicherweise wird das Modellprojekt auch nach dem offiziellen Ende im Mai 2018 weitergeführt. Lang sieht darin viel Potenzial: "Es hat sich ein gutes Netzwerk entwickelt, und bei einer Weiterführung könnten wir neue Schwerpunkte setzen", sagt sie.

Ansatzpunkte dafür bestehen noch genügend. "Die Vorgaben für Barrierefreiheit gelten nur für den öffentlichen Raum", erläutert Behindertenbeauftragter Jörg. Für private Gebäude, in denen Publikumsverkehr herrscht, etwa Läden oder Arztpraxen, schreibt der Gesetzgeber das nicht vor. Andererseits fordert das Gleichstellungsgesetz von 2002 Barrierefreiheit für alle Sozialleistungen, merkt Behindertenbeauftragter Wolfgang Jörg an. Und dazu zähle die ärztliche Versorgung in jedem Fall.

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