"Gardemädchen trainieren mehr als so manche Fußballer"

9.3.2018, 17:46 Uhr

© Andreas Brandl

Frau Gedigk, wir haben in der Redaktion lange diskutiert, unter welcher Rubrik dieses Interview laufen soll: Tanzmariechen, machen die nur Show oder ist das ein Sport? Können Sie . . .

Gedigk (unterbricht): Nein, das ist ein Sport. Die Mädchen trainieren momentan fünfmal in der Woche. Es ist ein anerkannter Leistungssport.

Sie können also nicht verstehen, dass man darüber diskutiert?

Gedigk: Nein, natürlich nicht. Die Mädchen trainieren ein bisschen mehr als so manche Fußballer in der Region. Trotzdem würde ich ja auch nicht sagen, dass Fußball kein Sport ist.

Wie hoch ist denn das Pensum?

Gedigk: Die Tänzerinnen müssen schon sehr viel leisten. Sie trainieren ein ganzes Jahr durchgängig und machen nur zwei Wochen Pause nach der Deutschen Meisterschaft.

 

Und wie bereitet man sich auf so ein wichtiges Turnier vor?

Gedigk: Wir trainieren das ganze Jahr über Kraft und Ausdauer. Die Mädchen haben sehr hohe koordinative Fähigkeiten, weil sie komplizierte Schrittkombinationen tanzen müssen. Dazu kommen schwierige Elemente aus dem Turnen: Freie Räder, Flickflacks, Saltos, gestreckt, gebückt, gehockt. Sie müssen das Gleiche können, was ein Bodenturner und was eine Ballerina können muss.

Klingt zugegeben extrem anspruchsvoll.

Gedigk: Das ist es auch. Die Mädchen brauchen eine sehr hohe Beweglichkeit, weil sie ihre Beine bis an den Kopf strecken müssen. Das geht schon fast in den Bereich der Rhythmischen Sportgymnastik. Wir haben sehr viele Sportarten vereint in einer. Und die Mädchen müssen das in einem halben Jahr Training erlernen und haben dann eine sehr lange Wettkampfphase. Die beginnt Anfang Oktober und wir müssen unsere Leistungen bis März halten.

Trotzdem ist auch viel Show dabei.

Gedigk: Das kommt auf die Disziplin an – und auch das ist eine große Herausforderung. Beim Gardetanz müssen die etwa 20 Mädchen ihre Choreographien ganz genau aufeinander abstimmen, sie müssen komplett synchron sein. Sie müssen tanzen als wären sie ein Mädchen. Und wenn wir im Schautanz das Thema Kung Fu haben, dann müssen sie auch Elemente aus dem Kungfu lernen.

Da haben Sie jetzt eine Menge aufgezählt. Bekommen die Tänzerinnen dafür auch Anerkennung – oder ist das Bild in der Öffentlichkeit eher, dass die halt ein bisschen rumhüpfen?

Gedigk: Beides. Wenn wir auf die Deutsche Meisterschaft fahren, dann ist das die größte Tanzsportveranstaltung in ganz Deutschland. Wir haben immer zwischen 8000 und 12 000 Zuschauer. Welcher ästhetische Sport kann das vorweisen? Turner oder Sportgymnasten haben diesen Zulauf nicht. Dazu kommen Fernsehauftritte wie in Veitshöchheim vor vier Millionen Zuschauern. Aber natürlich verkennen das viele und denken, das ist ein Hüpfsport. Aber es mag ja auch nicht jeder Fußball.

Also ist es eine Randsportart?

Gedigk: Es ist eine Randsportart, aber eine, die viele kennen. Es gibt aber regionale Unterschiede. In Oberfranken haben sie ganz andere Möglichkeiten, dort gibt es auch tanzende Jungs, die fehlen uns. Wir können gar keine gemischte Garde stellen.

Keine tanzenden Männer in Mittelfranken, warum?

Gedigk: In Oberfranken gibt es in den Dörfern oft nur zwei Möglichkeiten: Tanzen oder Fußball. Wenn die Jungs nicht kicken wollen, müssen sie zum Tanzen. Dort ist das akzeptiert, bei uns leider eher weniger.

Warum gibt es hier weniger Akzeptanz?

Gedigk: Meistens haben die Väter ein Problem damit, wenn die Jungs tanzen. Die Mütter weniger. Wir hatten schon Fälle von Jungs, die lieber tanzen wollten als Fußballspielen. Aber die durften nicht.

Kann man daran nicht etwas ändern?

Gedigk: Nein, letztlich ist das ja freiwillig und ein Hobby für die Kinder. Wir nehmen jeden, der gerne mitmachen will. Aber wenn die Eltern so sind, was wollen Sie da machen? Ich glaube, es gibt da auch einen Unterschied zwischen Stadt und Land.

Die tanzenden Jungs haben es also schwerer.

Gedigk: Ja, leider. Die werden in der Schule schon auch mal gehänselt. Die Mädchen werden eher hergeschickt, weil die Meinung auch im Jahr 2018 so ist: Die Mädchen gehen zum Tanzen, die Jungs zum Fußball. Ich würde sogar sagen, dass es immer schwieriger wird und die Eltern vor ein paar Jahren noch offener waren. Man kann da jedoch niemandem reinreden. Aber wir warten auf die tanzenden Jungs, vor allem unsere Mädchen würden sich freuen.

Tanzsport wird oft mit ziemlichem Drill im Training verbunden – ist das auch bei den Faschingsvereinen so?

Gedigk: Das kommt auf die Disziplin an. Die Mariechen trainieren eher locker, obwohl es sie sind, die von der körperlichen Anstrengung her am härtesten trainieren. Bei den Gruppen, also Garde und Showtanz, muss es schon disziplinierter zugehen. Da habe ich immerhin an die 30 Mädels in der Halle, da kann natürlich nicht nur geschnattert werden.

Man muss also ganz schon viel aushalten. Sind Tanzmariechen viel tougher als viele denken?

Gedigk: Tänzer haben ein anderes Schmerzempfinden, weil wir uns zum Beispiel viel dehnen. Dafür muss man an die Schmerzgrenzen gehen. Unser Schmerz beginnt halt erst, wenn unser Bein an den Kopf gedrückt wird. Aber wir lernen unseren Körper besser kennen als andere, das ist ähnlich wie beim Kampfsport.

Werden die Anforderungen größer?

Gedigk: Die Leistungen gehen ganz schön nach oben. Der Sport wandelt sich unglaublich schnell, manche Vereine sind in einem Jahr Deutscher Meister und scheitern im anderen im Halbfinale. Wir haben fast die ganze Konkurrenz momentan in Franken sitzen. Die fränkische Meisterschaft ist fast so hart wie die süddeutsche. Es gibt Disziplinen wie den Schautanz, wenn man da einmal bei der Wahl des Themas daneben greift, ist man weg vom Fenster. So lange, wie wir da erfolgreich sind, ist nicht normal.

Bei allem Sportlichen muss man also auch noch auf so etwas achten?

Gedigk: Ja, das ist sehr wichtig. Denn wenn keiner meinen Tanz versteht oder das Thema nicht ankommt, dann bin ich weg. Die Garde ist ein bisschen beständiger. Aber für die Mädels ist Schautanz cooler, bei unserem aktuellen Thema "Gefallene Engel" kann man zum Beispiel teilweise richtig aggressiv tanzen. Aus sich rausgehen und in eine Rolle zu schlüpfen ist ein bisschen spannender als der klassische Marschtanz.

Wie muss man sich so eine Deutsche Meisterschaft vorstellen?

Gedigk: Jeder, der zum ersten Mal dabei ist, sagt, es war ganz anders als gedacht. Gerade Eltern haben schon bei der Eröffnungsfeier Tränen in den Augen. Das wird groß aufgezogen. Die Leute haben ihre Trompeten und Trommeln auf der Tribüne, die Atmosphäre und Lautstärke ist wirklich wie im Stadion.

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Die deutsche Meisterschaft

Die Nachfrage nach Karten für das Turnier in Halle/Saale ist seit Monaten hoch, Karten gibt es nur noch an der Tageskasse. Von den Röttenbacher Besenbindern qualifiziert sind: die Schautanzgruppe, die Garden, die Ü 15-Tanzmariechen Liana Wolf, Bianca Dürrbeck und Carina Mayer sowie in der Altersklasse Jugend Lara Keim, in der der Junioren Lea Höhn und und Michele Zerrahn. Begleitet werden sie von ihrem – übrigens männlichen – Fanklub, den "Manolos".

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