Großenseebach: Sind CETA und TTIP überhaupt begreifbar?

19.7.2016, 19:11 Uhr
Großenseebach: Sind CETA und TTIP überhaupt begreifbar?

© Foto: Kronau

Für einige Hundert Gäste war bestuhlt worden, es kamen knapp 60 Bürgerinnen und Bürger. Enttäuschend zunächst, „weil wir doch einiges Geld für Werbung ausgegeben haben,“ so der BN-Kreisvorsitzende Helmut König.

Und doch: Die Podiumsteilnehmer waren engagiert bei der Sache. Entweder, weil sie wussten, dass eine Diskussion über Freihandelsabkommen an einem „Bilderbuchsommerabend“ (BN-Landesbeauftragter Richard Mergner) großer Anstrengung bedarf. Oder umgekehrt: Denen, die gekommen waren, galt spezieller Dank. „Es ist schön, dass sie gekommen sind“, sagte Marc Hilgenfeld, Geschäftsführer der Bezirksgruppe Mittelfranken des Verbandes der Bayerischen Wirtschaft (vbw). „Gute Informationen sind Voraussetzung, aber die meisten Leute sind schlecht über CETA und TTIP informiert.“

Stellte sich natürlich die Frage: Kann eine Podiumsdiskussion in Großenseebach daran etwas ändern? Neben Hilgenfeld, der für die Freihandelsabkommen eintrat, und BN-Mann Richard Mergner, der TTIP und CETA ablehnte, saßen noch die SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich und Thomas Krämer vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der evangelischen Kirche in Bayern (KDA) auf dem Podium.

„Eine Zeitenwende“

Vier Experten also, plus Moderator Jürgen Belz, der die Einladung zur Podiumsdiskussion schon aus einem ganz simplen Grund erwähnenswert fand: „Es hat schon immer Handelsabkommen gegeben, aber erst TTIP und CETA werden in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert.“ Das nannte Belz eine „Zeitenwende“.

Ein Grund für diese größere Öffentlichkeit sah Martina Stamm-Fibich in der fehlenden Transparenz. „Prinzipiell habe ich nichts gegen Freihandel“, so die Bundestagsabgeordnete. „aber das schürt Ängste.“

1500 Seiten CETA-Vertrag

Während Marc Hilgenfeld Gas geben will bei TTIP, bezeichnete die SPD-Bundestagsabgeordnete Stamm-Fibich das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU „im Augenblick als gescheitert“. Eine klare, für manche sogar überraschende Aussage.

Der CETA-Vertragsentwurf dagegen, also das geplante Abkommen zwischen Kanada und der EU, liege seit wenigen Tagen erstmals in Schriftform vor. „Über 1500 Seiten sind das, aber ich habe sie noch nicht gelesen“, räumte die SPD-Politikerin ein. Normalerweise wäre eine solche Äußerung Anlass zu Politiker-Häme, aber allen im Saal war wohl klar, dass solch komplexe Abkommen, wenn sie zumal weitgehend hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden, selbst für Bundestagsabgeordnete so schnell kaum fassbar sind. Wer handelt da was aus, und genauso wichtig: Wie wird das später umgesetzt und kontrolliert? „Es soll bei TTIP zu viel auf einmal geregelt werden“, ist sich Martina Stamm-Fibich sicher.

Selbst die Versuche, in der Diskussion einige Detailpunkte aufzugreifen, wie etwa die Gefahren für die öffentliche Daseinsvorsorge (z. B. Wasser) oder das Gesundheitssystem, zeigten eher, wie schwierig schon jeder einzelne Unterpunkt ist. Letztlich, so scheint es, macht die umfassende Komplexität CETA und TTIP zu einer reinen Glaubenssache. „Wem vertraue ich?, muss sich der Bürger fragen“, betonte Richard Mergner vom Bund Naturschutz.

„Es kommt eben darauf an, ob ich mehr die Chancen oder die Risiken sehe“, sagte Marc Hilgenfeld. Für den vbw-Vertreter stehen die Chancen im Vordergrund – Wachstum und neue Arbeitsplätze. TTIP und CETA seien auch nötig, den Wohlstand überhaupt erst zu halten. Denn die Gefahr bestehe, dass sonst andere Wirtschaftsblöcke (Asien) an Europa vorbeiziehen. „Mit Stillstand wird es nicht gehen“, so Hilgenfeld, gerade mit Blick auf das exportorientierte Deutschland.

Immer mehr Güter

Das ist die eine Perspektive. Die andere formulierte neben Mergner auch Thomas Krämer von KDA. „Wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher, dann geht die Welt ohnehin zugrunde.“ Soziale Fragen, Umwelt, Natur und Klimawandel spielten bei TTIP nur eine Nebenrolle. „Wir verbrauchen in Deutschland viermal so viel, wie wir für ein nachhaltiges Leben dürften“, verwies Krämer auf den sogenannten ökologischen Fußabdruck. Was Richard Mergner zu der Frage brachte: „Macht es Sinn, immer mehr Güter kreuz und quer durch die Welt zu schippern?“

Die Chancen auf mehr Wachstum und gesicherten Wohlstand gegen die Risiken eines ungezügelten Kapitalismus? In Großenseebach wurde diese Glaubens- und Vertrauensfrage noch einmal gut herausgearbeitet. Fast hatte man den Eindruck, viel mehr als das hatten die 60 Bürger auch gar nicht erwartet. Vielleicht weil jeder schon seine Meinung hatte?

Am Ende gingen die Zuhörer hinaus in eine Bilderbuchsommernacht, mit dem guten Gefühl, dass man sich über TTIP momentan nicht viel Gedanken machen müsse, weil dieses Jahr nichts mehr daraus wird. Wer aber möchte, dass CETA nicht verabschiedet wird, kann beim „Volksbegehren gegen CETA“ unterschreiben, das von verschiedenen Organisationen in Bayern gestartet wurde.

Pro Freihandelsabkommen:

www.vbw.de

Contra: www.volksbegehren-gegen-ceta.de

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