Herzogenauracher Appell ist "Herzensthema"

14.1.2019, 05:57 Uhr
Herzogenauracher Appell ist

© Foto: Karl-Heinz Panzer

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth, gilt ja als eine emotionale Politikerin, die gern auch mal ihrer Freude freien Lauf lässt. Und zur Freude hätten sie und ihre Parteifreunde zurzeit ja einigen Grund. Die gebürtige Schwäbin ging aber nur kurz auf die aus grüner Sicht erfolgreiche Landtagswahl in Bayern ein, die ihrer Partei 17,5 Prozent der Wählerstimmen einbrachte und sie zur stärksten Oppositionspartei im Maximilianeum machte.

Claudia Roth war am Samstag nicht so sehr nach Feiern zumute. Vielmehr stimmte die langjährige Parteivorsitzende ihre mittelfränkischen Mitstreiter auf die bevorstehenden Europawahlen ein. Sie analysierte, warnte und mahnte – mitunter sehr nachdenklich und auch selbstkritisch. Vor allem aber rief sie auf zu Engagement und hoher Wahlbeteiligung, denn: "Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir erleben einen Angriff auf die Grundlagen unserer Demokratie", warnte die Spitzenpolitikerin, nachdem sie einschlägige Zitate aus den Reihen der AfD vorgetragen hatte. Die 70 Jahre Frieden, die Europa durchlebt habe, seien in diesen Zeiten nicht mehr so sicher und selbstverständlich wie man immer geglaubt habe.

Vor allem die jungen Leute sollten die Bedrohungen durch Populisten nicht auf die leichte Schulter nehmen und zu den Wahlurnen gehen. "Das kann ganz schön schiefgehen, wenn ihr mal nicht wählt", erinnerte sie an die knapp ausgegangene Volksabstimmung zum Brexit, an dem sich die überwiegend europafreundlichen jungen Briten nur zu 30 Prozent beteiligt hätten. "Der Rückzug in den Nationalstaat beantwortet nicht die großen Fragen", ist Roth überzeugt. Nicht in Zeiten der Globalisierung, wo hier fabrizierter Plastikmüll überall in den Weltmeeren von den Fischen aufgesogen werde und so wieder auf dem Teller lande. Wo Großmächte wie China, Russland oder auch die USA "Interesse an einem schwachen Europa" hätten. "Deutschland hat am meisten von der EU profitiert", sagte die Parlamentarierin und unterstrich: "Es ist verrückt, das zurückdrehen zu wollen".

Kein sicheres Land

In ihrem außenpolitischen Rundumschlag kam sie auf die Lage in Ländern wie Syrien, Irak und auch Afghanistan zu sprechen, wovon letzteres eines sicher nicht sei, nämlich ein sicheres Land. "Dorthin kann man nicht abschieben, schon gar nicht Leute, die hier in Ausbildung sind", betonte sie.

Insofern war ihr der Herzogenauracher Appell, den Elena Volland von den örtlichen Flüchtlingshelfern am Ende der Veranstaltung verlas, ein "Herzensthema". Die darin enthaltenen Forderungen seien eigentlich "geltendes Recht", verankert in UN-Konventionen und anderen internationalen Vereinbarungen. Unter dem Eindruck der Abschiebung der alleinerziehenden Mutter Zaira und ihrer drei Kinder nach Tschetschenien im vergangenen Sommer formulierte die Herzogenauracher Initiative einen Katalog von Abschiebungshindernissen, der für Kinder gelten müsse (wir berichteten). 423 Unterzeichner hätten ihre Unterschrift unter den Appell gesetzt, so Elena Volland. "Es muss überprüft werden: Was passiert mit den Kindern", fand auch Claudia Roth.

Die Gastrednerin beleuchtete unter anderem die Verhältnisse in Saudi Arabien, an der US-Grenze zu Mexiko ("von den Eltern getrennte Kinder werden in Käfige gesperrt"), in Brasilien ("ein waschechter Faschist zum Präsidenten gewählt") und in der Türkei, die in einer "präsidialen Autokratie angekommen ist". Und trotzdem dürfe man nicht vergessen: "Erdogan ist nicht die Türkei", sagte Roth über das Land am Bosporus, dem sie sich besonders verbunden fühlt.

Innenpolitisch gab sich die 63-jährige Politikerin mild: Ja, die Bündnisgrünen würden in Bayern weiter mit der CSU streiten, sich an der SPD reiben und sich über die FDP ärgern, aber: "Bitte mit Respekt!" Zuvor hatte sich die Berliner Vizeparlamentspräsidentin über den Umgangston beklagt, der nach den letzten Wahlen im Bundestag Einzug gehalten habe.

Roth sprach sich für mehr Personal und eine bessere Ausrüstung für die Polizei in Bayern aus. Kein Beitrag dazu sei die von Ministerpräsident Markus Söder aufgestellte "Bayerische Kavallerie". Die Dienststellen wüssten oft nicht, wohin mit den Pferden und hätten niemanden, der darauf reiten könne.

Von der SPD grenzte die Bündnisgrüne ihre Partei im Bereich der Energiepolitik ab, Stichwort Braunkohle. "Soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung sind zwei Seiten derselben Medaille", wiederholte Roth mehrmals. Sehr entschieden wandte sie sich an dieser Stelle gegen die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Der warf sie vor, dass sie Umweltschutz als Gegensatz zur Sicherung von Arbeitsplätzen darstelle. Roth: "Wirtschaft hat doch nur dann eine Zukunft, wenn sie nachhaltig ist."

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