In Zentbechhofen haben Mehlschwalben ein Zuhause

16.6.2017, 09:06 Uhr
In Zentbechhofen haben Mehlschwalben ein Zuhause

© Ralf Rödel

Am blauen Himmel ziehen ein paar weiße Wolken übers Dorf, rund um den Bauernhof gleich unterhalb der Kirche fliegen zahlreiche Mehlschwalben geschäftig hin und her. Es ist Hochsaison für die kleinen, schwarz-weißen Vögel – sie müssen ihre Jungen mit Nahrung versorgen. Ein paar Küken, etwa eine Woche alt, spitzen schon vorsichtig über den Nestrand hoch oben, sie werden gleich im Flug abgefüttert. Der Nachwuchs in den Nestern daneben ist noch kleiner, deshalb schlüpfen dort die Eltern in das kunstvoll aus Lehm ans Dach geklebte Nest, um dort ihre "Babys" zu füttern.

"Heuer sind es wieder 98 Nester, genauso viele wie im letzten Jahr", weiß Hans Ruß. "Es sind auch schon mal 130 Nester gewesen", berichtet der Rentner. Er ist auf dem Bauernhof seiner Eltern mitten im Ort aufgewachsen und beobachtet seit seiner Kindheit die schnellen Flieger. "Ich kann mich noch genau erinnern: 1951, da war ich zwölf Jahre alt, da waren nur 13 Nester unterm Dach."

Bestand gefährdet

"Dann sind es immer mehr geworden." Vor allem am Abend sitzt Hans Ruß gern mit seiner Frau Maria auf der Bank vor dem Haus und sieht den fleißigen Schwalben zu. In all den vielen Jahren hat sich der frühere Landwirt so ein großes Wissen über die Mehlschwalben angeeignet, die auf der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands inzwischen als "gefährdet" eingestuft sind.

Ihr Bestand geht immer mehr zurück: Laut Zahlen des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), der jedes Jahr im Mai zur Zählaktion "Stunde der Gartenvögel" aufruft, wurden bei Mehlschwalben 2016 nur noch 60 Prozent des Bestandes von 2006 gezählt. Die Hauptursachen: Futtermangel und fehlende Brutplätze.

Gute Nistplätze, wo sie nicht vertrieben werden — wie bei Hans Ruß — gibt es für die Mehlschwalben immer seltener. Doch hier in und rund um Zentbechhofen finden die Vögel noch genügend Insekten, um ihre Brut zu versorgen. Außerdem dürfen sie hier nach Herzenslust ihre Nester unters Scheunenvordach kleben. Hans Ruß lässt die Tierchen nicht nur gewähren und kehrt und kratzt regelmäßig ihre Hinterlassenschaften weg, sondern unterstützt sie auch, wo er kann.

In Zentbechhofen haben Mehlschwalben ein Zuhause

© Ralf Rödel

"A weng muss man ihnen schon helfen", sagt er. So hat er erst kürzlich hoch oben unterm Dach Gitter vor den Balken befestigt, damit Raubvögel wie Sperber oder Falken dort nicht auf die Schwalben lauern können oder gleich die Jungvögel aus den Nestern holen. Außerdem hat er Bretter vor die anderen Balken genagelt, um den Raubvögeln und Tauben keinen Landeplatz zu bieten.

Hans Ruß sammelt auch die Jungvögel auf, die aus ihrem Nest gefallen sind: "Da muss ich oft die Leiter holen und die Jungen wieder ins Nest zurückstecken." Wie findet er das richtige "Elternhaus"? "Na ja", sagt er und schmunzelt, "da muss man halt schauen, ob die Köpf zusammenpassen." Die müssten ungefähr gleich groß sein, dann klappe das mit der Rückführung schon, weiß er.

Alles hängt am Wetter

Die Mehlschwalben sind sehr auf passendes Wetter und die richtigen Temperaturen angewiesen, hat Ruß beobachtet — zum Beispiel beim Nestbau: "Am liebsten ist ihnen ein warmes Gewitter, danach bauen sie ganz fleißig." Allerdings brauchen sie auch den richtigen Baustoff dazu, nämlich feuchten Lehm. Vor allem nach dem Winter, in dem viele Nester — wieder abhängig vom Wetter — von der Decke bröckeln, sei da viel zu tun.

Mitte April kommen die ersten Vorboten aus dem Winterquartier zurück, der größte Schwung der Schwalben trifft rund zwei Wochen später ein. Auch das aber hänge vom Wetter ab: "Wenn’s warm genug ist, kommen sie früher", so Ruß. "Ich schätze, dass sie das Wetter kennen", folgert er aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung.

Die ersten Küken der Mehlschwalben, die in Kolonien brüten, schlüpfen etwa Anfang bis Mitte Juni. "Vier, fünf Junge hat jedes Elternpaar." Nach rund 14 Tagen sind die Kleinen schon flügge. Ruß: "Auch das geht schneller, wenn das Wetter schön ist." Dann trainieren die Jungvögel das Fliegen und werden noch mit Futter versorgt. "Ende Juli fliegen die Jungen dann Richtung Süden davon. Ohne die Alten — und trotzdem kennen sie ihren Weg", sagt der "Ziehvater" bewundernd.

Dann brüten die Mehlschwalben in Zentbechhofen ein zweites Mal. Der Nachwuchs schlüpft Ende August und "Ende September sind dann alle weg". Im Herbst fliegen die Vögel — jung und alt — in großen Schwärmen gen Süden. "Die schwachen Vögel bleiben zurück", hat Ruß beobachtet. Die Tierchen verhungern. Im Frühjahr putzen die zurückgekehrten Schwalben ihre Nester aus und schmeißen die Reste ihres Nachwuchses heraus. Und weiter geht der biologische Kreislauf.

Wenn die Schwalben beim Anflug auf ihr Nest Insekten verlieren, dann warten auf dem gepflasterten Vorplatz der Scheune schon Bachstelzen oder Rotkehlchen und holen sich die Mücken und Käfer, erzählt er. "Maikäfer, die runterfallen, können nicht mehr fliegen." Die setzt er in einen Clematisbusch, wo die Käfer die Läuse vertilgen. Den Kot der Schwalben sammelt er ebenfalls ein und düngt damit die Rosen. "Da ist er gut aufgehoben", sagt Ruß verschmitzt. Alles hat seinen Nutzen, weiß der Senior.

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