Intensives Klavierspektakel: Liszt bei den Hörnern gepackt

21.7.2016, 08:02 Uhr
Intensives Klavierspektakel: Liszt bei den Hörnern gepackt

© Foto: Christian Enz

1958 gründete Karl Graf von Schönborn-Wiesentheid das Collegium Musicum und die damit verknüpfte Sommerakademie. Damit ist das Angebot im oberfränkischen Pommersfelden heute der drittälteste Sommer-Campus für Musikstudenten europaweit. Große Namen wie Christian Thielemann, Marie-Luise Neunecker oder Lutz Herbig verdienten sich auf Schloss Weißenstein erste Sporen. Kein Wunder, dass die Anziehungskraft für Musikstudenten aus aller Welt ungebrochen ist. Das ganze Jahr über prüft Jenö Nyári Bewerbungen und feilt an seinem Klangkörper. So konnte der im österreichischen Stattegg beheimatete künstlerische Leiter auch in der Saison 2016 dem Anspruch, mit dem Collegium Musicum die Stars von Morgen zu zeigen, genügen.

Emotional geladen

Den Auftakt der 14-teiligen Konzertreihe vor barocker Kulisse bildete traditionell am Dienstagabend ein Klavierkonzert im großen Festsaal.

Diesen gestaltete das spanische Nachwuchstalent Juan Pérez Floristán. Eine hochkarätige Besetzung. Ging er doch im vergangenen Jahr beim internationalen Klavierwettbewerb „Paloma O’Shea“ in Santander als Sieger hervor.

Dem teilweise bis aus Saarbrücken und Passau angereisten Publikum präsentierte der 1993 in Sevilla geborene Floristán eine emotional aufgeladene Begegnung mit Franz Lizst.

Inspiration fand er in der barocken Architektur des Veranstaltungsortes. „Musik ist eine intime Art, seinen Gefühlen Lauf zu lassen. Dies gilt für den Interpreten wie für den Komponisten“, sagt Floristán. „In solchen Räumen wie sie Liszt, Mozart und Beethoven selbst erlebt haben, kommt man diesen Menschen noch näher als sonst.“

Wer heute als Profi im Musikgeschäft bestehen will, darf freilich nicht nur den Größen vergangener Tage nachkommen. Es gilt vor allem das Publikum zu erreichen. Eben diesem näherte sich Floristán jugendlich unprätentiös. Statt zu Frack und Fliege kam der 23-Jährige im schlichten, schwarzen Sakko und T-Shirt.

Ein visueller Kontrapunkt zum opulenten Ambiente. Ebenso widersprüchlich sollte sich auch das Programm entwickeln. Zur Ouvertüre gab es „An die ferne Geliebte“. Ein 1816 von Ludwig van Beethoven komponiertes, später aber von Franz Liszt adaptiertes Werk. Das zur Verarbeitung der Trauer um Fürstin Maria Karoline von Schwarzenberg geschriebene Stück lebt von präzisen Piano-Passagen.

Brillant und mit Liebe zum Detail arbeitete Juan Floristán diese heraus – was mit Zwischenapplaus belohnt wurde. Auf den ersten Blick wenig spektakulär der zweite Beitrag. Mit diesem entfernte sich der Pianist vom Thema des Abends, unterstrich jedoch wohltuend den romantischen Charakter eines Sommerabends bei Hofe.

Er setzte Ludwig van Beethovens „Mondscheinsonate“ an. Wohl eines der bekanntesten Werke – ist es doch von beinahe jedem Musikschüler im Laufe seines Lebens zu bearbeiten.

„Man hat es wirklich schon oft gehört“, attestierte dann auch Ruprecht Kamlah. Gleichzeitig zeigte sich der Vorsitzende des Collegium Musicum-Verwaltungsrates begeistert. „So emotional vorgetragen habe ich es noch nie gehört. Es war ein völlig neues Erlebnis, ein Genuss.“ In der Tat generierte sich die Mondscheinsonate zu einer Symbiose von klassischer Romantik und urspanischem Temperament.

Vor jeder rasanten Passage huschte jenes Lächeln über Floristáns Gesicht, welches man sonst nur bei Rennfahrern beobachtet – bevor sich diese mit hoher Geschwindigkeit in kurvenreiche Strecken werfen. Rasant angelegt wurden von Beethoven jedoch nicht nur die schnellen Läufe über die gesamte Klaviatur. Auch die Tempowechsel verlangen dem Interpreten alles ab. Franz Liszt übte dieses Werk mit seinen Schülern deshalb nicht. Es sei zu schwer, so der Altmeister. Juan Floristán meisterte die Tücken so genial, dass dem Publikum der Atem stockte. Nur das Knarzen der 59 Jahre alten Bestuhlung kündete von zahlreichen Zuhörern.

Musikalischer Leistungssport

Den Höhepunkt des Konzertabends bildete Franz Liszt „Klaviersonate h- Moll“. Unter Fachleuten gilt sie als das anspruchsvollste Klavierwerk der Romantik. Nur die in Fis-Dur gesetzte Binnensonate des Mittelteils repräsentiert den ruhigen, melodischen Klang der Romantik. Sonst verlangen ständig wechselnde Motive und Tonarten Pianist wie Publikum alles ab.

Bei Temperaturen jenseits der 30 Grad wurde das Klavierspiel zum physischen Leistungssport. Kraftvolle Hammerschläge, bei denen der Pedalstoß bis in die hinteren Reihen spürbar wurde. Mit Inbrunst herausgespielte Recitativi, die Floristán buchstäblich aus dem Klavierstuhl hoben – ein in der Region selten gesehenes, intensives Klavierspektakel. Fast schien es, als wolle der Klavier-Torero den schwarzen Steinway-Flügel bei den Hörnern packen – es wurde mehr gerungen als gespielt.

Da war es klug, für die Zugabe eine gänzlich andere Richtung einzuschlagen. Hier bediente sich Floristán im Portfolio des 1983 verstorbenen, argentinischen Komponisten Alberto Ginastera. „Stücke, die selten zu hören sind, weshalb ich für diese Art der Zugabe besonders dankbar bin“, unterstrich dann auch Ruprecht Kamlah. Zu Recht, denn das Klavierrecital machte Lust auf mehr. Und Restkarten für ausgewählte Konzerte sind noch erhältlich.

Für BR-Klassik wurde das Konzert aufgezeichnet, es ist am 10. September um 15.05 Uhr zu hören.

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