Jedermann-Zehnkampf: So sportlich war das Jubiläum

25.9.2018, 11:17 Uhr
Jedermann-Zehnkampf: So sportlich war das Jubiläum

© Foto: Jürgen Petzoldt

Vier Stunden bevor der Jedermann-Zehnkampf beginnt, klingelt in einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen ein Wecker. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als sich Jens Schulze bereit macht: Er wird gleich eine fast 400 Kilometer lange Reise von Paderborn nach Herzogenaurach zurücklegen. Doch er wird nicht kommen, um zu sprinten, zu springen oder zu werfen. Diese Zeiten sind vorbei. In seinem Gepäck liegt keine Sportausrüstung. Alles, was er braucht, ist in seinem Kopf.

Rhythmisches Klatschen. Der Hochsprung steht an. "Auf geht’s", tönt es aus der Lautsprecheranlage. Das Klatschen wird lauter. Die Hobby-Sportlerin Noemi Rentz aus Gräfelfing überspringt die 1,50 Meter hohe Hürde. Sie jubelt. Dass sie am Ende des Zehnkampfes auf dem Podest ganz oben stehen und dem Publikum entgegenstrahlen wird, weiß sie in diesem Moment noch nicht.

Moderator weiß alles

Auf der anderen Seite des TSH-Geländes benutzen die Athleten für den Sprung einen Stab. "Der Stabhochsprung ist eine Disziplin, die sehr lange von den US-Amerikanern dominiert wurde", erklärt dieselbe Stimme, die eben noch Noemis Versuche angefeuert hat und gefühlt alles zu wissen scheint: Wer wann wieso unter welchen Bedingungen mal Olympiasieger wurde. Aber wer ist dieser alleswissende Moderator?

Normalerweise würde Jens Schulze bei diesem Wettbewerb nicht weiter auffallen. Er steht am Rand, angegrautes Haar, schwarz-graues Outfit, seine Augen, wie alle anderen, auf die Athleten gerichtet. Wäre da nur nicht dieses Mikrofon in seiner Hand. Als ein Stabhochspringer die Hürde reißt, ruft Schulze hinein: "Vielleicht beim nächsten Mal den Stab länger festhalten." Kurzer Blick zum Trainer des Athleten. "Oder den Stab weiter unten greifen."

Jens Schulze weiß, wovon er redet. Vor einigen Jahrzehnten war er einst selbst ein Zehnkämpfer. Ein Weltklasse-Zehnkämpfer, um genau zu sein. 1980 hatte er sich mit dem damaligen Weltrekord-Mann Guido Kratschmer für die Olympischen Spiele in Moskau qualifiziert. "Eine Zeit, als der Zehnkampf in Deutschland eine größere Bedeutung hatte", erinnert sich Schulze wehmütig. Weil die BRD allerdings den Einmarsch der Sowjetunion nach Afghanistan boykottierte, wurde ihm die Teilnahme verweigert. Der eine Höhepunkt wurde ihm genommen, einen anderen errang er dennoch: 1986 holte sich Jens Schulze die deutsche Meisterschaft im Zehnkampf.

Jetzt, wo er hier bei den Jedermännern und Jederfrauen moderiert, wird er kurz nachdenklich. "Ich finde es schade, dass die Leichtathletik bei uns kein führender Sport mehr ist", sagt Schulze. Laufen, springen, werfen, das seien doch die Grundlagen für alles andere. Doch die gesellschaftliche Dominanz des Fußballs ist erdrückend. "Jeder Landesligist ist heutzutage finanziell bessergestellt als ein Top-Leichtathletik-Verein."

Auch deshalb ist er heute wieder hier. Eigentlich sollte diesmal ein anderer Moderator das Geschehen begleiten, aber weil es das Jubiläum sei, "und weil bei diesem Verein so viel Herzlichkeit dahintersteckt", habe er sich überreden lassen. "Damit die Sportler auch ein bisschen Stimmung haben". Dann muss er sich wieder umdrehen, der Wettbewerb geht weiter.

"Wussten Sie, dass man einen Stab nicht senkrecht hinstellen und dann daran hochklettern darf", fragt er die Zuschauer. Ein faszinierender Moment: Nur mit einem Mikrofon und viel Wissen bewaffnet, kämpft da einer bei Amateuren für die Reanimation der Sportart, die er selbst einst als Profi ausübte.

"Kein Konkurrenzdenken"

24 Stunden später quälen sich die Mehrkämpfer ein letztes Mal über die Tartanbahn. 1500 Meter lang. Aus der Zuschauermenge, die jeden Läufer verbal voranpeitscht, sticht eine Person ganz besonders hervor. Knallrote Cappy, knallrote Trainingsjacke, Sneaker mit Grünstich. Peter Müller ist der Organisator des Zehnkampfes. Dass es dieses Mal nur 54 Teilnehmer sind, findet er nicht schlimm. "Das Besondere an so einem Zehnkampf ist doch, dass es kein Konkurrenzdenken gibt", sagt Müller. "Es geht um die großartige Atmosphäre, es geht darum, sich gegenseitig zu unterstützen."

Als Peter Müller am Abend mit allen anderen vor dem Sturm "Fabienne" in die Gaststätte geflohen ist, erzählt er von der diesjährigen Leichtathletik-Europameisterschaft. Fesselnd sei die gewesen, tolle Einschaltquoten, "aber danach ist der Sport eben wieder in die dritte Reihe gerutscht".

Den Zehnkampf auch für Hobby-Sportler zu öffnen, das kann ein Gegenmittel sein. "Man muss den Sport für alle zugänglich machen", sagt Müller. Viele sind hier zum ersten Mal gekommen. Die meisten wollen wiederkommen.

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