Jürgen Turnwalds Triumph am Fuße des Montblanc

23.4.2017, 18:33 Uhr
Jürgen Turnwalds Triumph am Fuße des Montblanc

© Fotos: privat

Jürgen Turnwalds Triumph am Fuße des Montblanc

Wenn man im deutschen Fußball ein Talent ist, kann man sich schon in jungen Jahren auf ein nahezu professionelles Fördersystem verlassen – ganz anders ist das im Mädcheneishockey: Da müssen begeisterte Eltern tief in die Taschen greifen, um die eigentlich dem Verband obliegenden Aufgaben zu übernehmen. So existiert neben der eigentlichen Nationalmannschaft des Deutschen Eishockeybunds (DEB) noch das Team "Germany Selects".

Jürgen Turnwald: "Der DEB bietet einfach zu wenig an Förderung, da finden kaum Maßnahmen statt." Das fand auch Thomas Christof, der nach sechs Jahren in Boston maßlos davon enttäuscht war, dass seine Tochter Nina nach ihrer Rückkehr nur selten wirklich gefordert war – obwohl sie bei den Knaben des ERV Schweinfurt auf sensationelle 99 Scorerpunkte kam. So kam er vor zwei Jahren auf die Idee, "girlseishockey.de" zu gründen – als Elterninitiative.

Weibliche "Knaben"

200 Mitglieder hat die Organisation inzwischen, darunter 150 Spielerinnen. Bundesweit werden Camps ausgerichtet, dabei werden auch Teams zusammengestellt, die an Turnieren teilnehmen. Der Hintergrund: In den USA spielte Nina Christof in reinen Mädchenteams; in ganz Deutschland gibt es keinen einzigen Verein, der eine solche Mannschaft auf die Beine bringt. Die offizielle Verbandspolitik ist es, dass die Mädchen bis zu den Knaben in den Jungsmannschaften mitspielen und sich danach schon in die Frauenteams integrieren müssen. Thomas Christof: "Wir bringen die Mädchen endlich mal zusammen, keineswegs als Konkurrenz zum Verband, sondern als zusätzliche Förderung in Abstimmung mit dem DEB."

So fahren sieben Mädchen aus dem Kader von "Germany Selects" mit dem Nationalteam zu den nächsten Titelkämpfen. Dank "girlseishockey.de" kommen die Mädchen nun in den Genuss, sich wirklich mit den Besten zu messen.

Turnwald hatte den Posten erst vor kurzem unternommen. Eigentlich wollte der Ex-Funktionär und -Jugendtrainer des Höchstadter EC sowie Frauentrainer des ESC Höchstadt die Initiative nur organisatorisch unterstützen. Doch dann starb überraschend der Trainer – und er wurde gefragt, ob er an diesem Posten Interesse habe. Er sagte ja, aber mit der Maxime "Wenn ich es mache, dann richtig!" Also wurde nicht nur nach Teilnehmern gesucht, sondern es wurde bei bundesweiten Sichtungen gezielt nach den Besten gesucht und ausgesiebt. Zur Vorbereitung gewann "Germany Select" ein Turnier am Ossiacher See in Österreich und belegte Platz sechs bei einem Damenturnier in Tachov (Tschechien).

Da kam das hochklassige Einladungsturnier in Courmayeur und Chamonix gerade recht: Unter dem Titel "World Selects Invite" standen da zehn Auswahlmannschaften aus allen Eishockeyhochburgen auf dem Eis – vor allem aus Übersee. Sämtliche Titel im Fraueneishockey gehen seit Jahren nach Kanada oder in die USA. Und damit die "Hobbyspielerinnen" aus Europa überhaupt eine Chance haben, durften die Mädchen ein Jahr älter sein: Jahrgang 2003 statt 2004 bei den Teams aus USA und Kanada.

"Maximal Platz acht" war Turnwald und seiner Truppe von den Experten zugetraut worden, doch schon die Vorrunde lief besser als gedacht: Mit einem Sieg, zwei Niederlagen nach Penaltyschießen und zwei weiteren Niederlagen in der schwereren Gruppe mit ausnahmslos Gegnern aus Nordamerika landeten die "Germans" auf Platz sieben – erstes Teilziel übertroffen.

Doch es kam noch besser: Im Viertelfinale wartete das Team aus Minnesota, Zweiter nach der Vorrunde. Die Turnwald-Truppe wuchs über sich hinaus und gewann mit 4:2. Es folgte ein 4:1 im Halbfinale gegen das Team Pro Hockey, gefördert von namhaften NHL-Vereinen; die nächste Sensation.

Dabei fehlte Co-Trainer Lubos Thür senior (ebenfalls beim Höchstadter EC ein bekanntes Gesicht) aus privaten Gründen, dafür war Turnwalds Sohn Nico (auch ein Ex-Alligator, aktuell Oberligaspieler bei den Hannover Indians) eingesprungen.

Erst im Finale war die Luft raus. Im siebten Spiel à 2 x 20 Minuten in vier Tagen. Turnwald: "Wir mussten um 5 Uhr aufstehen, die Zimmer räumen, frühstücken und nach Chamonix fahren. Dann um 10.20 Uhr Mittagessen, Fahrt durch den Tunnel nach Courmayeur und schon wieder warmlaufen für das Endspiel um 13.15 Uhr. Da hat der Gegner gleich die ersten zwei Schüsse ins Tor gebracht – und dann ging bei uns nichts mehr." Am Ende hieß es 11:1 für das Team West Coast Select, das alle Spiele gewann.

Aber die Packung am Ende tat der Begeisterung keinen Abbruch. Turnwald: "Wir haben etwas Unmögliches für Europa möglich gemacht." Einen eigenen Anteil am Erfolg sieht er durchaus; er mache halt vieles anders als andere Trainer. "Ich lebe Eishockey – und ich will gewinnen. Da kommen halt nicht alle Akteurinnen immer zum Einsatz", sagt er. Eine Denkweise, die damals bei den Höchstadter ESC-Frauen nicht gut ankam.

Dieser Triumph mit "Germany Selects" gibt ihm weiteren Antrieb: "Jetzt freue ich mich auf August!" Denn dann findet vor der Haustür in Dresden das "World Select Invite" für die U 18-Mädchen statt. Und auch hier ist der "Eishockeyverrückte" Turnwald der Cheftrainer der deutschen "Elterninitiative"…

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