Lohnender Einsatz in Mainhattan

21.7.2013, 16:24 Uhr
Lohnender Einsatz in Mainhattan

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Am Samstag, 12. Oktober, ist die schöne Zeit vorbei. Es fällt der Startschuss für die 3,8 Kilometer Schwimmen in berüchtigt rauer See, gefolgt von 180 Kilometern auf dem Rennrad und einem Marathonlauf, jeweils bei Backofenhitze.

Wenn man Geißler fragt, warum man sich das antut, wird man keine erschöpfende Antwort erhalten. Das ist keine Frage, die man einem Amateursportler stellen sollte, wenn man eine rationale Antwort will.

Es ist der Nimbus des Originals: Der Hawaii-Ironman ist die Weltmeisterschaft, das Ziel des Triathleten an sich. Die besondere Härte der äußeren Bedingungen macht es aus, an denen man seine Ausdauer und die ihr zugrunde liegende Mentalität prüfen könne.

Seit Frankfurt besitzt Geißler die begehrte Bademütze mit der Aufschrift „Qualified Athlete“. Er fühlt sich damit wie ein „Primus inter Pares“, wie er sagt, und genießt das Bewusstsein, gut genug trainiert zu haben für seinen zweiten Hawaii-Auftritt nach 2010. Immerhin starten neben den Profis dort nicht mehr als 1600 Alterklassen-Athleten. Die Qualifikationshürden liegen immer höher, denn das Leistungsniveau steigt mit der zunehmenden Beliebtheit des Ausdauer-Dreikampfs — und wegen letzterem werden in aller Welt auch immer mehr Langdistanz-Wettkämpfe der Ironman-Organisation veranstaltet. Härtere Konkurrenz also.

Bis zu 27 Stunden die Woche

In der harten Phase der Vorbereitung investiert Geißler bis zu 27 Stunden in der Woche in seinen Sport. Nebenberuflich. Der gebürtige Nürnberger ist Ingenieur, Projektleiter für Züge, und arbeitet gerade an einem Projekt für die S-Bahn in Wien. Mit Routine — er ist dem Triathlon verfallen seit 2006 und hat bereits sieben Ironman-Distanzen hinter sich — bringt man das unter.

Das Organisationsgeheimnis liegt im Morgen-Schwimmen. Täglich vor der Arbeit, um 6.30 Uhr, trainiert Geißler im Erlanger Röthelheimbad und hat sich längst daran gewöhnt, schon zu dieser Tageszeit Leistung zu bringen.

Immer eine gepackte Sporttasche bei sich haben, Laufschuhe im Werk in Wien deponieren, Wartezeiten für eine Laufeinheit nutzen, keine Zeitfresser wie Fernsehen — so schafft man es, im Schnitt 18 Stunden in der Woche für den Sport herauszuholen. In der Zuspitzungsphase, dem „Tapering“ sinkt das Pensum auf vier Stunden intensiv.

Stress und Hektik? Keineswegs, sagt Geißler und spricht Ausdauersportlern aus der Seele: „In der Bewegung finde ich die innere Ruhe.“

Diese gilt es zu bewahren, wenn Jürgen Geißler auf der Insel der Ausdauer-Seligen angekommen sein wird — zehn Tage vor dem Start. Zwei Freunde aus seiner Sport-Gruppe „Franken Speed Fighters“, die bei Individualisten, wie es die Triathleten nun einmal sind, mehr ein Freundeskreis ist als ein Verein, begleiten ihn: Andreas Wloka (Altersklasse 40) und Andi Derbfuß (AK 35). Beide haben sich wie er qualifiziert.

Sich dann zurückzunehmen, wenn der Blick aus dem Hotelfenster auf Kolonnen potenzieller Ironmen fällt, die die Straße entlangrennen und ihre Form zeigen, das ist in der Schlussphase vor dem Start wohl das Schwerste.

Geißler kennt diese Phasen. In etwa fünf Monaten Training hat er auch die „Hypochonderphase“ durchgemacht, wenn jedes Kratzen im Hals Ängste auslöst, man könne eine Grippe kriegen und der Start sei gefährdet.

In der Altersklasse 45 und vor dem achten Ironman ist das längst mental zu meistern. Und der Steppacher Athlet hat sich auch mit seinen Leistungen so etabliert, dass ihm andere Befürchtungen gemildert werden. Die vor den ersten 400 Metern beim Schwimmen etwa. Geißler mag Schwimmen, aber erst, wenn die Anfangs-Prügeleien beim Massenstart vorbei sind. So gilt es, 400 Meter so schnell anzugehen, dass die Muskeln mehr Energie erzeugen müssen, als sie es mit Verbrennen von Zucker unter Sauerstoff-Zufuhr können. Dann fällt Milchsäure in den Muskelzellen an, ein berüchtigter Ermüdungsfaktor.

In Frankfurt durfte der 48-Jährige privilegiert starten: vorab mit der kleinen Gruppe der Profis und so ohne Gewimmel im Wasser. Auf Hawaii wird er sich lieber etwas seitlich halten und so zwar mehr Meter, aber weniger Rempler in Kauf nehmen.

Einmal im Rhythmus, wird das Wasser wohl nicht der Feind des Steppachers werden. In unbewegten Gewässern kann er die 3,8 Kilometer in gut 50 Minuten zurücklegen.

Das Rad ist dann sowieso sein bevorzugtes Wettkampfgerät. Zumal Geißler eine wichtige Triathleten-Eigenschaft besitzt: Appetit. Er könne locker eineinhalb mal so viel essen, ohne Magenprobleme zu kriegen, wie viele Konkurrenten. Also kein Problem mit dem bei Radlern gefürchteten Hunger-Ast. Triathleten verbrennen auf der Ironman-Distanz ungefähr 12000 Kilokalorien. Geißler schätzt, er führt sich unterwegs mit Kohlenhydrat-Getränken, Gels und Riegels etwa 8000 zu, der Rest sind Körper-Reserven, die er gern hinterher mit Suppe wieder auffüllt.

Die gab es in Frankfurt bei der Qualifikation nicht. So blieb ihm nur Bier. Aber auf Hawaii, freut sich der Franke, „gibt‘s a warma Subbn“. Überhaupt unterschätze man die Suppe im Ausdauersport. Der Schluss-Marathon hat für ihn eigentlich nur einen Schrecken: den Abschnitt zwischen Kilometer 25 und 33. Bei 25 beginne der Triathlon erst richtig. Um glücklicherweise nach acht harten Kilometern mit der euphorischen Endphase aufzuhören, so seine mentales Programm.

Hatte Jürgen Geißler 2010 beim ersten Hawaii-Ironman noch das Ziel, als „Daylight-Finisher“ anzukommen, also bei Tageslicht, so steckt er es dieses Mal höher: Unter zehn Stunden müsste es gehen.

Und danach ist Schluss. Keine Langdistanzen mehr 2014. Die Familie ist dann an der Reihe. Jürgen Geißler hat es Ehefrau Brigitte und den Kindern in Frankfurt auf der Ziellinie versprochen.

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