Martin Grau: Ein Zahn, der nervt

1.6.2016, 08:57 Uhr
Martin Grau: Ein Zahn, der nervt

© Foto: nn

Die Zeit ist genau beziffert: Schneller als in 8:30 Minuten muss er die 3000 Meter Hindernis bewältigen. Bis vor einigen Wochen schien das für den 24-Jährigen eher eine Pflichtübung zu sein, er und sein Umfeld waren davon überzeugt, dass das Ticket nach Rio de Janeiro heuer machbar sei, alle Trainingswerte waren bestens. Besser sogar als 2014, als er seine persönliche Bestzeit von 8:24,29 aufgestellt hatte.

Doch nun kommt das Zahnfleisch – besser gesagt: die Zähne – von Martin Grau ins Spiel. Im Herbst musste er sich die Weisheitszähne ziehen lassen – knapp, aber noch rechtzeitig vor dem Trainingslager in Kenia. Der Zahnarzt merkte damals schon einen schiefen Biss an, möglicherweise wurde das in der Kindheit übersehen.

Auch im April in Südafrika plagten Grau erneut Zahnschmerzen; eine Füllung war herausgebrochen. Doch der Sportler verzichtete auf die Behandlung, weil er nicht wusste, ob er auf den Kosten sitzen bleiben würde. Hinzu kam eine leichte Erkältung kurz vor der Heimreise, mit der er sich vermutlich bei seinem Zwillingsbruder Basti angesteckt hatte.

Und nun, so LSC-Trainer Markus Mönius, begann eine Fehlerkette: „Wir haben zwar etwas abgewartet, aber nicht lange genug. Da war zunächst der im Nachhinein blöde Wettkampf in Erlangen über 1500 Meter, wo nach 1200 Metern der Motor keinen Saft mehr hatte. Dann folgte das wichtige Qualifikationsrennen in Rehlingen. Und Martin startete, obwohl er sich schon vorher müde und schlapp fühlte. Diesmal ging es 1700 Meter gut, dann bekam er die Beine nicht mehr hoch.“

Auch der Zahnschmerz flammte trotz der Kariesbekämpfung wieder auf. Und nun entdeckte der Zahnarzt noch einen entzündeten Nerv, den Grau wegen der Einnahme von Schmerzmitteln gar nicht so stark gespürt hatte. Dienstag vor einer Woche folgte die schmerzhafte Zahnwurzelbehandlung.

„Das Training lief unter diesen Umständen natürlich nicht optimal“, gestand Mönius. Der geplante Wettkampf am vergangenen Wochenende im belgischen Oordegem kam definitiv zu früh. Das befand auch Dr. Olaf Ernst vom Institut für Allgemeine Trainingswissenschaften in Leipzig, mit dem das LSC-Topteam zusammenarbeitet. Seine Analyse ergab das gleiche, was sich die Höchstadter auch schon zusammengereimt hatten: Man hatte dem Körper in Summe aller Details zu viel zugemutet. „Zahnschmerzen, Erkältung, harte Trainingslager in enger Folge, dazwischen noch Uni – das habe ich nicht so gut weggesteckt“, sagt der Sportler.

Trotzdem versuchte das Erfolgsduo nach der Wurzelbehandlung mit dem bewährten Konzept weiter zu arbeiten. Der Trainer: „Es macht ja keinen Sinn, die Probleme ständig zu verbalisieren. Wir wollten jetzt nach vorne schauen.“ Offenbar mit ersten Erfolgen, „denn am Montag sah Martin wieder richtig locker aus, absolvierte die Trainingseinheit sehr gut“, so Mönius.

Ob die Form und das Selbstbewusstsein wieder da sind, wird sich am späten Freitagabend zeigen. Dann startet der Biengartener in einem hochklassigen Hindernislauf im spanischen Huelva. Es wurde eigens ein Tempomacher engagiert, der die Asse aus Spanien, Frankreich und Marokko zur Norm „ziehen“ soll. Denn bisher hat nur eine Handvoll Europäer die 8:30 geknackt.

Gelingt Grau am Freitag dieses Kunststück, wäre alles geritzt. Dann wären die deutsche und die Europameisterschaft noch angenehme Begleiterscheinungen. Falls nicht, muss er die Norm fast bei der DM am 18. Juni in Kassel schaffen, denn danach gibt es in Europa kaum noch adäquate Meetings. Doch diese Optionen will Mönius am liebsten noch gar nicht durchspielen, jetzt zählt erst einmal Huelva. Und da sagt Grau selbst: „Ich fühle mich jetzt endlich wieder fit.“

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