Musikalische Legendenbildung

24.4.2018, 06:00 Uhr
Musikalische Legendenbildung

© Foto: Christian Enz

Das Kulturangebot in Höchstadt ist vielfältig. Viele Formate haben sich inzwischen einen Freundeskreis erarbeitet – und das Publikum weiß, was sich gehört. Minutenlanger, stehender Applaus – wie er das Ende der Uraufführung von "Maria Magdalena – eine Legende zur Auferstehung Christi" begleitete – war jedoch mehr als Höflichkeit. Es war Ausdruck schierer Begeisterung für den dritten Teil der Passionsgeschichte von Rüdiger Kaufmann.

"Mein Ziel war nicht, einfach eine biblische Geschichte zu vertonen", erläutert der Höchstadter Musikpädagoge. "Ich wollte die Passion aus Sicht derer erzählen, die direkt mit dabei waren – denen die Bibel jedoch nur eine Randnotiz schenkt." Natürlich fußen die Werke Kaufmanns auf biblischen Tatsachen. "Da kommt nichts Falsches vor", betont er. Aber Kaufmann schreibt seinen Protagonisten eben auch Anekdoten zu, die seiner eigenen Phantasie entspringen.

So auch bei Maria Magdalena. Mit seiner Ouvertüre lässt Kaufmann das Publikum in ein kleines Haus der Jerusalemer Altstadt blicken. Drei Tage nach der Kreuzigung haben sich die engsten Vertrauten Jesu dort versteckt – aus Angst vor Repressalien der römischen Besatzer. Sie hadern noch immer mit dem Schicksal ihres Idols. Nur wenige Takte braucht es, bis der von Georg Schlee hervorragend abgestimmte Projektchor St. Georg und das Vokalensemble Quindici die Zuhörer mit ihrem Klagelied in Stimmung versetzen. Dann, plötzlich, ändert sich die Lage. Flankiert vom dramatischen Einsatz der Streicher scheint Panik auszubrechen. Und tatsächlich – mit Liebe zum Detail lässt das Kammerorchester Höchstadt im nächsten Moment römische Soldaten vor dem geistigen Auge der Zuhörer erscheinen – die jedoch unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Biblische Bedeutung

Rüdiger Kaufmann betreibt also in gewisser Weise eine musikalische Legendenbildung. Gleichzeitig arbeitet er – zur Freude von Dekan Kilian Kemmer – die christliche Botschaft völlig neu heraus. Untrennbar mit dieser Botschaft verquickt ist Maria Magdalena. "Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob ihr Leben vor der Begegnung mit Jesus tatsächlich so sündenreich war", erklärt Kemmer. Ausschlaggebend für die biblische Bedeutung Maria Magdalenas ist aus Sicht des Höchstadter Dekans vielmehr ihre Liebe. "Wer wie sie liebt, wird nicht enttäuscht – auch nicht im Tod".

Diesen Kontext herauszuarbeiten, war für das Laien-Ensemble mit knapp 100 Ehrenamtlichen freilich eine Herkulesaufgabe. "Vor allem für den Chor, der bereits ein halbes Jahr daran gearbeitet hat", betont Kaufmann. Besonders gefordert waren darüber hinaus Eva-Maria Helbig (Sopran) mit ihrer Rolle als Maria Magdalena sowie Johanna Sander (Alt), die als Maria, Mutter des Jakobus, agierte. Ihr kongeniales Tête-à-Tête war der rote Faden durch das neue Passionsspiel. Egal ob im Streit mit lärmenden Jüngern oder bei der Verkündigung von Jesu Auferstehung – die beiden Solistinnen begeisterten mit Emotion und Brillanz.

Als Dirigent führte Rüdiger Kaufmann seine Musiker persönlich durch seine Uraufführung. Zu seinem Leidwesen war im Vorfeld nur zweimal Möglichkeit gewesen, mit dem gesamten Ensemble zu proben. "Alle sind berufstätig, da gilt es Rücksicht zu nehmen", erklärt Kaufmann. "Natürlich kommt es bei einer Aufführung dann immer wieder zu Situationen, die vorher noch nie erlebt wurden." So auch bei der Premiere: "Das hat immer wieder für Unruhe im Klangkörper gesorgt. Aber gemeinsam haben wir alle Herausforderungen gut gemeistert", freut sich der musikalische Leiter.

Dem Publikum waren diese kritischen Situationen jedoch weitgehend verborgen geblieben. Zu faszinierend waren die musikalischen Stränge, die Kaufmann miteinander verwoben hatte. Und denen mit Liebe zum Detail Leben eingehaucht wurde. Etwa durch Henrike Fröhlich und Claudie Schulten-Kuth, die mit filigranen Flöten-Soli zu gefallen wussten. Ebenso wie Wolfgang Dietz, der mit seinem Fagott und einem anspruchsvollen Motiv das Finale einleitete. In diesem zieht Kaufmann alle Register, spart nicht mit Pauken und Bläsereinsatz – um schließlich mit einem tosenden Halleluja auf den Punkt zu kommen: Jesus ist auferstanden.

Ein Schlusspunkt unter das Wirken Kaufmanns war dies dennoch nicht. Denn in seinem Schreibtisch liegt bereits eine weitere Partitur – sie vertont das Leben der Heiligen Hildegund und wartet ebenfalls noch auf ihre Uraufführung.

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