Nachtleben des Großenseebacher Malers

29.7.2015, 06:00 Uhr
Nachtleben des Großenseebacher Malers

© Athina Tsimplostefanaki

Ein wirkliches Ladenschaufenster zum Garten hatte sich Tögel vor Jahrzehnten in sein Künstlerzimmer einbauen lassen. Von hier aus genießt er den Ausblick auf den stattlichen Kirschbaum, dessen dichtes sommerliches Blätterwerk für eine beinahe schummrige Atmosphäre sorgt. Das solcherart reduzierte Tageslicht vermisst er keineswegs.

„Ich arbeite meistens nachts, bei Neonlicht.“ Nachtszenen spielen auch in seinem Oeuvre eine besondere Rolle. Das erkennt jeder Besucher beim Betreten von Tögels Allerheiligstem sofort. In leuchtendem Gelb, Rot und Grün springen einem die vor einem Jahr verewigten nächtlichen Stadt- und Straßenszenen von „Nightlife“ entgegen. Nächtliches Dunkel oder Düsternis fehlen hier fast völlig.

Die Straße ist für den Kunstschaffenden etwas ganz Besonderes, „ein demokratischer Ort“. Dort müssten sich die Benutzer „auf Augenhöhe“ begegnen, glaubt er. Jeden Schultag ist Tögel auf dieser Straße unterwegs, unterrichtet am Willstätter Gymnasium in Nürnberg. Kunstlehrer seit 40 Jahren. „Ich würde genau diesen Beruf wieder wählen“, unterstreicht er mit lebhaften Gesten und nickt dabei ganz leicht mit seiner längst grauen Mähne. Der Kunsterzieher rückblickend: „In der Schule muss Kreativität auf Kommando geleistet werden.“ Das habe ihn — offenbar in einer kreativen Durststrecke — selbst animiert, künstlerisch schaffend tätig zu werden.

Sein Ruhestand ist nach so vielen Schuljahren längst in Sichtweite. Nur mit einem kann sich der Großenseebacher bis zum heutigen Tag nicht abfinden: „Ich bin kein Frühaufsteher.“

Da kommt ihm auch seine zweite Leidenschaft entgegen, von der die uralte Höfer-Konzertgitarre zeugt, die vor dem CD-Regal im Atelier verstaubt. „Die ist mir kaputtgegangen, ich bin beim Trampen vom Lkw hinten runter gefallen.“ Natürlich hat der kulturelle Tausendsassa längst Ersatz. Außerdem spielt er inzwischen hauptsächlich E-Gitarre in einer Band. Geprobt wird immer abends, ebenfalls in Nürnberg.

Von Musik lässt sich Tögel auch bei seiner Malarbeit „befeuern“, wie er sagt. In der Anfangszeit lockte ihn der Blues mit seinen „vitalen schwarzen Stimmen“. Inzwischen bevorzugt der Künstler aber immer mehr Jazz-Klänge. Statt der Schallplatten vergangener Zeiten mit nur 20 Minuten Spieldauer schätzt er längst die einstündige Spieldauer von CDs. Selbst im Keller beim Rahmenbauen für seine Bilder sorgt ein kleines Kofferradio für passenden Sound und Anregungen mit superlangen Minderheiten-Wortprogrammen. „Eine Art Gegenöffentlichkeit.“

Immer wieder geht der Kulturpreisträger mit kleiner Digitalkamera auf Fotopirsch und sammelt Eindrücke für künftige Bilder. Bescheiden schränkt er aber ein: „Ich bin ein schlechter Partyfotograf und Familienchronist.“ Nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in Großenseebach fand er schon geeignete Motive: Die Winterlandschaft der Umgebung entfalte ihren grafischen Reiz, ebenso Spargelfelder oder der alte Ortskern. Farbspielereien, „wenn der Schnee von den Straßenlampen orange verfärbt wird“.

Trotz nächtlicher Liebe zur Großstadt braucht Tögel Ruhephasen. „Hier ist eine wunderbare Umgebung mit 1000 Rekreationsmöglichkeiten.“

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