Nazi-Literatur wirft Fragen nach „Szene“ auf

20.1.2012, 17:30 Uhr
Nazi-Literatur wirft Fragen nach „Szene“ auf

© Michael Müller-Jentsch

Ein großformatiges Heft, die Texte sind mit Historikern abgeklärt – das bildet den äußeren Teil der „Zeitungszeugen“. Themen, die entscheidend waren für den Fortgang der Weltgeschichte, wie „Die Legende der ,Machtergreifung‘“ werden von Wissenschaftlern aufbereitet publiziert.

Unter anderem sind als Experten im Team genannt: Professor Hans Mommsen von der Ruhr-Uni in Bochum, Professor Sönke Neitzel von der University of Glasgow oder Professor Horst Pöttker vom Institut für Journalistik der TU Dortmund.

Im Innern befinden sich Faksimile des „Kämpfers“, des „Angriffs“, des „Vorwärts“ oder der „Vossischen Zeitung“. Zum Herausnehmen und an die Wand hängen zum Beispiel.

Oder eben auch nachgedruckte Exemplare des „Völkischen Beobachters“ von 1933. Mit „Herausgeber Adolf Hitler“ sowie Untertitel „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“. Mit Headlines wie „Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen“ neben dem Foto des Reichstags in Flammen 1933 und dem Konterfei des „Führers“.

Das bayerische Finanzministerium, das die Rechte an „Mein Kampf“ hält, prüft dieser Tage erneut urheberrechtliche Schritte gegen die Veröffentlichung der von Hitler verfassten Hetzschrift (siehe auch NN-Hauptteil).

Verleger McGee hatte bereits 2009 den „Völkischen Beobachter“ neu aufgelegt und damit argumentiert, „ungekürzte historische Quellen“ würden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Und hatte so mit dem letztlichen Plazet des Oberlandesgerichts Nazi-Literatur nachgedruckt.

Dass „eine der übelsten Hetzschriften, die in diesem Land je verfasst worden ist“, nun in Auszügen veröffentlicht werden könnte, hat die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, jüngst verurteilt. Sie vermutet hauptsächlich geschäftliche Interessen.

Allgemein bekannt ist die Publikation von „Zeitungszeugen“ offenbar jedoch nicht. Herzogenaurachs zweite Bürgermeisterin Renate Schroff, Mitglied des Runden Tisches gegen rechte Gewalt, von Beruf Grundschullehrerin, könnte sich „höchstens im Geschichtsunterricht am Gymnasium“ eine historisch-kritische Verwendung von Original-Texten vorstellen: „Das muss als Geschichtsdokumentation ankommen und nicht anders. Es könnte sonst zu Missbrauch einladen.“

Mit der Lichterkette gegen Rechtsextremismus am 10. Dezember 2011 auf dem Herzogenauracher Markplatz, einer Demo im Aktionsbündnis der Metropolregion mit viel Zuspruch, habe sich gezeigt, wie sensibilisiert die Bevölkerung nach den Morden der Zwickauer Neonazi-Zelle ist. „Man kann nie sicher sein“, meint Schroff, ob sich unter dem Anschein der Normalität nichts anderes verberge. Bisweilen würden sich auch Aufkleber mit neofaschistischem Hintergrund im Stadtbild von Herzogenaurach finden.

Neonazis tarnen sich

In Projekten wie „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“ wird Jugendlichen im Kreis Erlangen-Höchstadt vermittelt, wie Neonazis sich heute in einer bürgerlichen Existenz „mit Anzug und Krawatte“ tarnen, um in ihrer „Freizeit“ ihre wahre, braune Identität zu zeigen. Es wird auch demonstriert, wie neue Nazi-Ideologen versuchen, über die Ultra-Szene von Fußballfans in die Welt junger Leute einzudringen.

Von den berüchtigten Paulus-Brüdern aus dem Landkreis oder dem damaligen Neonazi-Rädelsführer Tommy Müller nimmt man an, sie seien nun „andernorts bundesweit“ aktiv. „Man muss sich um Informationen bemühen, wie sich die Neonazi-Szene darstellt“, ist Renate Schroff überzeugt.

Der Runde Tisch gegen rechte Gewalt, entstanden in den 90er Jahren, als Neonazis in Herzogenaurach ausländische Bürger und gegen Neonazis Engagierte sogar in ihrem Wohnumfeld attackierten, wäre „sofort wieder startbereit, wenn wir von Übergriffen hier erfahren würden“, erklärt die zweite Bürgermeisterin überdies.

SPD-Stadtrat Gotthard Lohmaier, ehemaliger Geschichtslehrer an der Realschule, war seinerzeit betroffen von diesen Übergriffen und war auch Mitglied des Runden Tisches. Die Herausgabe von „Mein Kampf“ würde er „relativ entspannt sehen, wenn die Kapitel einzeln kommentiert würden. Wenn man jedoch die Einzelblätter unabhängig davon benutzen kann, wird es gefährlich. Zu fragen ist auch, welche Absichten ein britischer Verlag damit verfolgt.“

Bei der Prävention gegen braune Umtriebe, so Lohmaier, „darf man nicht warten, bis der Schuss ins eigene Tor kommt. Man muss sich auch mit Gräfenberg, Weißenohe oder Fürth solidarisieren und als Stadtspitze für andere Zeichen setzen.“

Vom Nürnberger Polizeipräsidium wurde auf Informationen des Innenministeriums „Bayern gegen Rechtsextremismus“ verwiesen. Dort ist zu erfahren, dass den „Freien Nationalisten Erlangen-Höchstadt“ derzeit bis zu zehn Aktivisten zuzurechnen sind.

Die Gruppierung verstehe sich als Teil des bayernweiten Netzwerkes „Freies Netz Süd“. Sie beteiligte sich seit Schulbeginn 2010 an der FNS-Kampagne „Sag Nein zur Bundeswehr“. Im Landkreis ERH wurden Plakate und Schnipsel bei Schulen verteilt und verklebt.

Auf der Homepage des FNS sind Aktionsberichte veröffentlicht, etwa eine Flugblattaktion im Zusammenhang mit der Anti-Kapitalismuskampagne „Wir wollen die D-Mark“ am 30. Januar 2011 in Adelsdorf. Polizeisprecherin Elke Schönwald: „Nur weil man in der Presse nichts liest, heißt das nicht, dass wir sie nicht im Fokus haben. Doch auch die Bürger sollen uns Beobachtungen melden. Es ist unser Auftrag, dem nachzugehen.“

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