Niko Paech: Die "Reallabore" brauchen Mitmacher

6.3.2018, 18:57 Uhr
Niko Paech: Die

HERZOGENAURACH – Die Energiewende ist schon jetzt gescheitert. Wir kriegen es nicht hin, unsere Energiebilanz auszugleichen. Nicht, weil wir nicht in Windkraft und Sonnenenergie investieren, sondern weil diese nicht ausreichen und wir gerade das Wichtigste bei der Energiewende nicht tun: Energie sparen. Die größte Schuld daran hat unsere Mobilität. Das ist das Grundszenario, vor dem der Ökonom Paech nach Möglichkeiten sucht, sich Leben und Arbeit in der Zukunft zu denken. Und dies nicht als Rückkehr "ins Neandertal", sondern unter Wahrung von Menschenwürde, Freiheit und Demokratie.

Grünes Wachstum?

Eine der Theorien hat er schon abgehakt: die Vorstellung, es gebe "grünes Wachstum", es wäre also möglich, ohne Ausbeutung der Natur Wirtschaftswachstum zu generieren. Paech verfolgt dagegen einen Ansatz, der Wachstum grundsätzlich in Frage stellt.

Gewachsen, sagt er, ist die Wirtschaft immer nur, um die Menschen in Arbeit zu halten. Alle industriellen Revolutionen bislang hätten die Produktivität derartig erhöht, dass Heerscharen von Menschen um ihre Arbeit gekommen wären, hätte man nicht die Wirtschaft vergrößert, noch mehr Rohstoffe verbraucht usw.

Was Paech – auf die entsprechende Frage in der Diskussion nach dem Vortrag – von der jetzigen, digitalen industriellen Revolution hält, ist somit klar: "Eine einzige Katastrophe, der ökologische Suizid."

Weder Bibel noch Marx

Paech denkt als Möglichkeit, dem Zwang zum Wachstum zu entrinnen, daran, weniger zu arbeiten. Es stehe weder in der Bibel noch in Marxens "Kapital", schon gar nicht im Grundgesetz, dass der Mensch 40 Stunden in der Woche arbeiten müsse. Das sei ein Dogma. Was, wenn die Menschen nicht mehr 40 Stunden arbeiten wollen? Die Wirtschaft müsste nicht mehr wachsen, die Industrie würde schrumpfen, viele Firmen ganz verschwinden – für die Herzogenauracher Sportartikler mochte Paech keine Überlebensgarantie abgeben – die Leute würden andere, langlebigere und reparierbare Produkte nachfragen.

Könnte der Mensch auch mit 20 Stunden Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten, bliebe ihm Zeit, etwa für das, was schon Ludwig Erhard in seinem Spätwerk schon als Möglichkeit beschrieben habe, wenn der Wohlstand für alle erreicht sei: Spazierengehen.

Oder künstlerisch tätig sein, sozial, handwerklich. Paech leitete über zu seinem Entwurf einer nachhaltig – im Sinn von ökologisch und innerhalb ökologischer Grenzen auch global gerecht – wirtschaftenden Gesellschaft. Die Postwachstumsökonomie brauche einen kulturellen Wandel im Verhältnis zu Produkten, eine Mäßigung in den Ansprüchen, die ständige Frage "brauche ich das?"

Befreiung statt Askese

Paech nennt dies Suffizienz. Und mit Askese habe das nichts zu tun: Es sei eine Befreiung von eingebildeten Konsumzwängen, sprich von der Abhängigkeit von der Industrie.

Daneben postuliert der Ökonom die Subsidienz. Mit Gemeinschaftsarbeit lassen sich demnach Werte schöpfen: Wer weniger arbeitet, habe Zeit, die Einbußen an Einkommen zu kompensieren – etwa durch Eigenproduktion von Nahrungsmitteln, Urban Gardening – für Paech ein Aufbruch in die richtige Richtung.

Oder mit handwerklichen Tätigkeiten, Reparieren, Upcycling von Gebrauchtgütern, oder auch gemeinsamem Nutzen von Gütern. Paechs Beispiel: Carsharing. Dies alles durchaus arbeitsteilig im sozialen Netzwerk, und auch professionell.

In so einer de-globalisierten Regionalökonomie werden nach Niko Paech "Prosumenten" tätig sein, Menschen, die sowohl Produkte konsumieren als auch selbst Wertschöpfung betreiben.

Der Weg dahin führt laut Paech mitnichten über die Politik: "Dafür kriegen Sie keine Mehrheiten." Der Ökonom sieht eine Chance in Gemeinschaften, die solche Ansätze ausprobieren: Reparaturcafes, Carsharing-Vereine, Garten-Gemeinschaften, Händler-Verbünde, die gemeinsam eine Reparaturwerkstatt für ihre Waren betreiben. Paech nennt dies "Reallabore" und setzt auf deren Vorbildfunktion.

Als er in der Diskussion erfuhr, wie viele es davon in der Stadt schon gibt, bekamen die Herzogenauracher ein Postwachstums-Kompliment zurück und der Referent anhaltenden Beifall

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