Paketbotin Gegner: Schwere Tage vor Weihnachten

19.12.2016, 12:00 Uhr
Paketbotin Gegner: Schwere Tage vor Weihnachten

© Foto: Ulrich Schuster

Manchmal genügen fünf Worte, um Erika Gegner den ganzen Tag zu versüßen. Um all die Strapazen für einen Moment vergessen zu machen. „Sie fehlen mir als Postbotin“, sagt die junge Frau in der Gemeindeverwaltung, die gerade ein Paket entgegennimmt. Gegner, eine quirlige kleine Frau, 56 Jahre alt, kurzes, grau-meliertes Haar, rechteckige Brille, strahlt für einen kurzen Moment. Die Anerkennung tut ihr sichtbar gut, „das ist so ein Aufhänger, dass man wieder Freude bei der Arbeit hat“.

Aufstehen um 5 Uhr

Es ist kurz vor 9 Uhr, die ersten zehn Pakete hat Erika Gegner an diesem kalten Wintermorgen in Aurachtal schon ausgeliefert. Sie ist um 5 Uhr aufgestanden, nach Herzogenaurach gefahren, hat im Zustellzentrum ab halb sieben Briefe sortiert und ihren gelben Kastenwagen beladen. 95 Pakete stapeln sich im Laderaum, dazu mehrere Kisten voller Briefe und Zeitschriften. „Verbundzustellung“ heißt das im Fachjargon, die Zusteller sind auf dem Land Paketbote und Briefträger in einem. Anfahren, einige Meter rollen, aussteigen, Brief einwerfen, zurück hinters Steuer. Immer wieder. Das leise Surren des Motors ist die Begleitmusik des Morgens.

Mit einem flotten Sprung steht Erika Gegner auf der Straße und öffnet die große Seitentür. Paket schnappen, scannen, es sind geübte Handgriffe, jeden Tag zigmal. Wumms! Die Tür fällt ins Schloss, ein paar schnelle Schritte, „Guten Morgen“, eine Unterschrift, „schöne Weihnachten, auf Wiedersehen“. Weiter geht’s. Es ist moderne Akkordarbeit, die Erika Gegner verrichtet.

Seit fast 25 Jahren ist sie bei der Post, es war nicht ihr Traumjob, gelernt hat sie im Einzelhandel. „Irgendwann wollte ich aber was anderes machen“, sagt sie. Der Vater, der selbst Zusteller war, ging in Rente, die Tochter wurde die Nachfolgerin. Einige Jahre war sie im Innendienst, seit 1999 ist sie „draußen“, wie sie sagt.

Kurzer Plausch

Knapp 30 Kilometer ist sie täglich mit dem Auto unterwegs, die Strecke, die sie in Aurachtal zu Fuß geht, dürfte noch länger sein. „Da kennt man irgendwann die Gepflogenheiten“, sagt sie. Die Straßen der Gemeinde sind ihr Revier, dort weiß sie, wohin sie mit dem Paket kann, wenn der Empfänger nicht zu Hause ist. Guten Morgen hier, grüß Gott da, Erika Gegner kennt jeden – und jeder kennt sie. Für mehr als kurzen Smalltalk reicht die Zeit aber nicht.

Dann: Wieder ein Griff in die Box mit den Briefen, ein Paket gescannt, zur Haustür, niemand daheim, ab in die Garage. „Garagenverträge“ erleichtern Menschen wie Erika Gegner den Job ungemein, sie kann die Pakete einfach hinterlegen. Und so fristet der rote Karton erst einmal ein einsames Leben in einer Garage, in ein paar Tagen wird sich jemand über ein Geschenk des FC Bayern freuen.

„Momentan ist das Paketaufkommen schon sehr hoch“, sagt Gegner. 52,37 Milliarden Euro hat der Online- und Versandhandel laut einer Studie des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) 2015 umgesetzt, der Onlinehandel (46,9 Milliarden Euro) steigerte seinen Umsatz um zwölf Prozent. Genaue Zahlen, wie viele Pakete die Deutsche Post in der Vorweihnachtszeit zustellt, gibt es nicht. „Pro Werktag sind es deutschlandweit etwa 3,8 Millionen Stück, rund um Weihnachten aber doppelt, teilweise sogar dreimal so viele“, sagt Konzernsprecher Erwin Nier.

Bandscheiben quietschen

Mancher Kollege in Städten mit vielen Hochhäusern könne da durchaus auch mal auf bis zu 300 Pakete am Tag kommen, sagt Gegner. „Die können dafür in einem Hochhaus 20 Stück auf einmal los werden.“ Doch auch 95 Kartons reichen, es gibt Tage, an denen Erika Gegner zehn Stunden auf den Beinen ist. Bis zu 31 Kilogramm darf jedes Paket schwer sein, fast täglich muss sie solche Lieferungen schleppen. „Die Bandscheiben quietschen schon“, sagt sie. „Mancher denkt, wir gehen nur ein bisschen spazieren, aber es ist harte körperliche Arbeit.“

Wenn dann noch die Kälte in aller Früh beißt, die Muskeln versteifen und alles noch schwerer wird, „das ist das Schlimmste“. In diesen Momenten denkt Erika Gegner an die Menschen, die noch im warmen Bett liegen. Aber nur kurz. Der Winter, sagt sie, „der geht irgendwann vorbei“. Denn trotz aller Widrigkeiten steht sie jeden Morgen gerne auf, sie mag ihren Job. „Ich bin ein freier Mensch“, sagt sie, den ganzen Tag an der frischen Luft und „nicht eingesperrt“, wie die Leute in ihren Büros. Und sie hat noch Zeit für sich, anders als im Einzelhandel, „da arbeitest du von 12 bis 21 Uhr und hast vom Vormittag und vom Abend nichts“.

Nächste Station: Grundschule. Der Laderaum des Kastenwagens hat sich schon beträchtlich geleert, „man sieht sofort, dass man etwas getan hat“. Weiterer Antrieb, denn der Tag ist noch jung. Erika Gegners Ohren und Backen sind inzwischen rot, es sind die einzigen Zeugen der Kälte. Sie ist abgehärtet, ein Pullover, ein Rollkragen-Pulli und eine Fleecejacke schützen sie vor dem Wind, die blau-gelbe Kappe wippt im Takt, wenn sie mit flotten Schritten von Tür zu Tür eilt.

„Ein bisschen Schiss“

Vor knapp 50 Jahren ging Erika Gegner hier selbst zur Schule, in den Pausen sah sie oft ihren Vater mit den Briefen vorbeilaufen. Es ist eine kurze Reise in die Vergangenheit, für ein paar Sekunden denkt sie an diese unbeschwerten Zeiten zurück. Doch wenn sie den Schlüssel im Zündschloss umdreht, ist all das wieder vergessen. Es zählt nur das nächste Paket. Ausladen, scannen, abgeben, Erika Gegner wird das bis Heiligabend noch mehrere Hundert Mal machen. „Ein bisschen Schiss hab ich schon vor den nächsten Tagen“, sagt sie. Aber bisher hat sie schließlich jedes Weihnachten geschafft.

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