Rekord: Vier fahren nach Berlin

25.9.2017, 17:45 Uhr
Rekord: Vier fahren nach Berlin

© Foto: Rainer Groh

Der Schlüsselfelder Bäckermeister Gerhard Leyh ist zwar nicht im Wahlkreis Erlangen, sondern im Bamberg-Forchheimer stimmberechtigt. Doch sein Fazit am Tag nach dem politischen Erdrutsch der Bundestagswahl steht stellvertretend für viele: Gut, dass die Große Koalition vorbei ist.

Die Absage der SPD an eine weitere Regierungsbeteiligung ist auch im Erlanger Wahlkreis auf Respekt gestoßen. Bei einem der Gewinner, der FDP, mischt sich ein Schuss Jamaika- und Mitregier-Laune in die Respektsbekundung. Michael Dassler, Vorsitzender der Liberalen im Landkreis Erlangen-Höchstadt und Ehemann der frischgewählten Bundestagsabgeordneten Britta Dassler, sieht eine SPD allemal lieber als Oppositionsführer in Berlin als die AfD.

Zu später Stunde am Wahlabend hat Dassler dies gesagt, im Kreis freudetrunkener Anhänger bei der Party in seinem Herzogenauracher Weinlokal "Dasslers". Die Stimmung stieg dort noch etwas, als die letzten Hochrechnungen den bayerischen Liberalen elf bis zwölf Bundestagsmandate bescheinigten. Britta Dassler, auf Platz neun der Landesliste, konnte da auf ein sicheres Mandat mit den Getreuen anstoßen.

Aus München importiert

Nach den Sitzen im Bundestag war diese Wahl - sieht man es rein regional - erfolgreich für Stadt und Landkreis. Sie sind künftig mit vier Abgeordneten im Parlament vertreten - ein Rekord. Nach dem direkt gewählten CSU-Mann Stefan Müller rücken auch Martina Stamm-Fibich (SPD), Britta Dassler (FDP) und Paul Podolay (AfD) über die jeweilige Landesliste ihrer Partei ins Parlament - Letzterer zum Entsetzen der anderen.

Auf 7,9 Prozent der Erststimmen hat es der aus München importierte Kandidat der Rechtspopulisten auf Anhieb gebracht, seine Partei auf 9,5 Prozent. Sieht man gleichzeitig die herben Verluste der Parteien, die man bislang als die "Großen" zusammenfasste, zeigt sich ein signifikantes Wahlverhalten. Die Erststimme der meisten Wahlkreis-Bürger gehörte nach wie vor den bekannten Direktkandidaten, mit der Zweitstimme wandte sich das Wahlvolk ab von CSU und SPD. Eine Erklärung nicht nur für den Erfolg der AfD, die im hiesigen Wahlkreis auf weniger fruchtbaren Boden gestoßen ist als bundesweit und hinter den sehr erfolgreichen Grünen und der FDP auf Rang fünf mit einstelligem Ergebnis rangiert.

Auch die Grünen und die Linke zeigen sich - von der FDP ganz zu schweigen - wegen dieses Verhaltens als Zweitstimmen-Gewinner im Wahlkreis. Bei den Freien Wählern (FW), sofern man bei einem marginalen Gesamtergebnis von 2,20 Prozent überhaupt solche Rechnungen aufstellen kann, verhält es sich umgekehrt: Direktkandidat Christian Enz konnte in Stadt und Landkreis mehr Stimmen erobern als seine Gruppierung - was die Vermutung nahelegt, dass selbst FW-Anhänger auf Bundesebene andere Kräfte unterstützen wollen.

Den Spitzenkandidaten Stefan Müller und Martina Stamm-Fibich haben ihre Bekanntheit und die Sympathie, die sie genießen, zu respektablen Ergebnissen verholfen - freilich nicht zu so guten wie 2013, als Müller noch bei 48,50 Prozent Zustimmung lag (2017: 42,70).

Besonders deutlich der Rückgang der SPD in der Stadt Erlangen von 24,3 Prozent vor vier Jahren auf 17,8 Prozent Zweitstimmen diesmal in der von der SPD in einer Ampel-Koalition geführten Großstadt. Damit liegen die Sozialdemokraten in der Stadt unwesentlich besser als im Landkreis (17,1 Prozent, was Beobachter als Kritik der Erlanger Wähler auch an der Politik der SPD in Erlangen deuten. Viele links orientierte Wähler haben offensichtlich den Grünen oder den Linken ihre Stimme gegeben, Erklärung für Zweitstimmen-Zahlen von 16,20 Prozent bzw. 9,3 Prozent in der Stadt.

Im "Speckgürtel" von Erlangen, wie in den Gemeinden Bubenreuth und Buckenhof, ist die SPD sogar hinter die Grünen auf Rang drei zurückgefallen, traditionell konservative Hochburgen haben sich im westlichen Landkreis mit Wachenroth, Heßdorf und Gremsdorf bestätigt. Die AfD fuhr ihr Spitzenergebnis mit 16,50 Prozent in Mühlhausen ein.

Die Blicke der Parteien und ihrer Basis richten sich jetzt nach Berlin: auf mögliche (Jamaika)Koalitionsverhandlungen.

Mit einer Regierung aus drei Partnern kennt sich der Erlanger FDP-Fraktionschef Lars Kittel aus - auch wenn Kommunal- etwas anderes ist als Bundespolitik und es sich im Erlanger Fall um eine "Ampel", sprich: Rot-Gelb-Grün, handelt. "Solche Bündnisse sind nicht immer leicht", gibt der Freie Demokrat zu. Aber ausschließen möchte er ein solches Bündnis auf Bundesebene von Vornherein nicht, sagt Kittel.

Nun zeigte sich auch der Sprecher des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen, Manfred Bachmeyer, per Pressemitteilung offen für Schwarz-Gelb-Grün. Auch wenn Jamaika auf Bundesebene "Neuland" sei, hätte die Zusammenarbeit mit der CDU in Baden-Württemberg und Hessen sowie die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein gezeigt, dass eine erfolgreiche Politik auch jenseits von Rot-Grün möglich sei.

Und der (mögliche) große Partner selbst? Für die Erlanger CSU-Fraktionsvorsitzende, Birgitt Aßmus, stand schon am Sonntag fest: "Ich lehne Neuwahlen ab; wenn wir eine stabile Mehrheit suchen, kann das nur Jamaika sein."

Auch der Vorsitzende des SPD-Kreises Erlangen, Dieter Rosner, hält nach dem Wahlergebnis im Grunde nur eine Jamaika-Regierung für möglich.

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