Viele Kinder, kein Geld

21.6.2012, 10:00 Uhr
Viele Kinder, kein Geld

© Groh

Auf Bitte der Nordbayerischen Nachrichten hat Andreas Jakob, promovierter Historiker und Archivar der Stadt Erlangen, die Grundlagen eines Vortrags über das Schulhaus und das Schulwesen im Röttenbach des 19. Jahrhunderts zur Verfügung gestellt. Jakob lebt in Röttenbach. Er macht kein Hehl daraus, dass er als Historiker den Abbruch des Gebäudes für den Verlust des nach der Kirche wichtigsten Hauses im Dorf hält.

Bis es nämlich gebaut wurde (1826), hausten die Röttenbacher Lehrer in einem Vorgängerbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, der bereits 1811 als völlig baufällig aktenkundig war: In einem Etatentwurf „von dem Lokal-Schul-Vermögen“ fand Jakob , dass die zur Schulstelle gehörende Wohnung vom Einsturz bedroht war. Die West- und die Nordwand waren „ganz zusammengefault“.

Nicht nur die Wohnung: Auch das knapp 4,5 mal 5,5 Meter große Schulzimmer, in dem übrigens seinerzeit (1813) 64 katholische Röttenbacher Kinder aus 48 Familien und dazu noch Kinder aus Hemhofen unterrichtet werden sollten, war „ganz baufällig, auch zu klein und nicht mehr zu benutzen“. Weil attestiert wurde, der Schulstube nütze auch keine Reparatur mehr, stellte die Gemeinde „bis ein neues Schulhaus hergestellt ist“, die Gemeindestube zum Unterricht zur Verfügung.

Die Lehrerwohnung blieb. Um 1816 lebte darin ein Schulmeister mit Vornamen Thomas. Der Mann war vorgerückten Alters, hatte aber — in zweiter Ehe — eine wesentlich jüngere Frau und mit ihr drei kleine Kinder. Dazu einen 35-jährigen Sohn aus erster Ehe, Johann Thomas, der „als Schulgehilfe seines Vaters“ tätig war.

Rechtlich ein Schwebezustand, denn der Vater, damals bereits 41 Jahre lang Lehrer, war wegen Altersschwäche eigentlich gar nicht mehr Lehrer. Aber die Schulinspektion weigerte sich, ihn zu pensionieren, denn dann hätte man seine Stelle gegen Lohn wieder besetzen müssen.

So arbeitete der Sohn 15 Jahre lang für den Lohn seines Vaters. Für die Gemeinde preiswert, aber für die Kinder eigentlich verheerend. Denn der Junior hatte offenbar noch geringere Kenntnisse als der Senior. Als letzterer 1818 starb, bemühte er sich dennoch um die offizielle Nachfolge, erhielt aber eine Abfuhr.

Der Herzogenauracher Landrichter Müller kritisierte dessen geringe Kenntnisse und Fähigkeiten, der Röttenbacher Schultheiß Güthlein attestiert ihm am 27. August 1818 „nur höchst geringe Fähigkeiten im Schreiben und Rechnen und ebenso wenig Kenntnisse in anderen Fächern“. Die Röttenbacher Jugend würde künftig „ebenso sehr in Dummheit und Unwissenheit versunken bleiben, wie es bisher der Fall war“.

Johann Thomas wurde nicht Röttenbacher Lehrer und 1820 nach Breitenlohe versetzt. Mit den Kenntnissen der Röttenbacher Jugend scheint es seither aufwärts gegangen zu sein. Nicht aber mit dem Schulhaus.

Dessen Zustand und auch die Tatsache, dass durch bessere Gesundheitsvorsorge die Kinderzahl auch in Röttenbach nach 1820 stieg, brachte die Gemeinde doch zu — im März 1824 genehmigten — Bauplänen für das noch in der Pfarrstraße stehende Schulhaus. Die katholischen Gemeindemitglieder ließen sich sogar im Juli vom Herzogenauracher Landgericht in „solidarische Haftung“ für 400 Gulden nehmen, die man sich für den Neubau leihen musste.

Pfarrer Brand hatte sich vorher auch gehörig beschwert. Das Landgericht tue „keinen guten Zug“. Und, so der Pfarrer in seinem Schreiben, „die Bauern, die keinen Sinn für Schule und überhaupt gemeinnützige Anstalten haben, wenn diese mit ihren Interessen in Berührung kommen, freuen sich, dass nichts geschieht“.

Baubeginn war am 18. August 1826. Offenbar, so Andreas Jakob, wurden Bauteile aus dem Vorgängerbau wiederverwendet. In einer bitterarmen Gemeinde nicht verwunderlich. Das Schulzimmer war nach dem damaligen „Raumprogramm“ mit etwa 5 mal 8,7 Metern ausreichend für 88 Kinder. Es machte nichts, dass es 149 gab: Sie gingen ja nicht gleichzeitig in die Schule. 1831 gab es schon 160 bis 170 Schüler. Mit 100 wäre damals ein Lehrer zurechtgekommen. Nun brauchte er einen Gehilfen — und 1837 das neue Haus an der Pfarrstraße (Nr. 61 im Kataster) ein zweites Schulzimmer als Anbau.

Es folgten noch eine größere Erweiterung 1856 — und die Bemühungen um die Finanzierung zeigen, dass Röttenbach vor gut 150 Jahren ebenso reich an Kindern wie arm an Geld war. Aus einem königlichen Fördertopf flossen 910 Gulden in den Bau, die Hälfte der Kosten. Der damalige Pfarrer Dietl bedankte sich überschwänglich, fügte aber hinzu, dass die Gemeinde für die andere Hälfte auch keinen Heller hatte.

Röttenbach war bewohnt von Tagelöhnern und Handwerksgesellen. Diese, so Dietl damals, waren kaum imstande, ihre Familien zu ernähren. Schulgeld mussten sie zahlen. „Außergewöhnlich viele Gemeinde-, Kirchen- und Armenumlagen“ verschlangen die „wenigen sauer verdienten Pfennige“. Sie lebten vom „armseligen Erlös aus Wurzelgraben, Kräutersammeln und Tannenzapfen-Lesen“.

Der Pfarrer bescheinigt in seiner Bittschrift den Orten Röttenbach und Hemhofen zudem, sie seien „an Menschenzahl überfüllt“, keine Erwerbsquellen durch Handel, Gewerbe und dergleichen vorhanden.

Nicht zuletzt dieser Quellen wegen, die im Zusammenhang mit dem Schulhaus mehr als ein Schlaglicht auf die Lebensverhältnisse in Röttenbach werfen, findet Historiker Andreas Jakob das Gebäude wertvoll. Vor dem Abriss sollte man dessen Geschichte kennen.

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