Weisendorf hat bei Barrierefreiheit die Nase vorn

30.5.2016, 08:57 Uhr
Weisendorf hat bei Barrierefreiheit die Nase vorn

© Foto: Ingrid Jungfer

Gerhard Freunscht, bereits als junger Mann erblindet, wagt stolz den Vergleich mit der Region, geht es um den barrierefreien Zugang zur hiesigen Gastronomie. Im Ort selbst ist das Lokal „Cabire“ mit barrierefreiem Zugang und ebensolcher Toilette ausgestattet, genauso die Tagescafés „Brothaus“ und „Der Beck“. Gleiches gilt in den Ortsteilen für die Gaststätten Lunz in Rezelsdorf und Süß in Buch, die dazu noch Rampen angelegt haben. Fünf mit Rollstuhl oder Rollator mühelos zu erreichende Lokalitäten also, lobt Freunscht. Herzogenaurach habe die im Vergleich dazu nicht.

Auch die Signalverkehrs-Anlage (SVA) an der Nordkreuzung der Ortsdurchfahrt sei eine Besonderheit. Seit dem Umbau sorge die SVA dafür, dass Blinde, stark Sehbehinderte und auch Rollstuhl- oder Rollatorfahrer sicher die stark befahrene Kreuzung überqueren können. Denn die SVA sendet für die Sehbehinderten an den Straßenübergängen akustische Signale aus, die sie zum Ampelpfahl auf dem Gehsteig oder der Querungsfurt lotsen. Dort zeigt dann ein Kästchen mit taktilem, also ertastbarem Vibrationsfeld an, ob die Ampel Rot oder Grün ist. Wo der Sehbehinderte seinen Weg über die Fahrbahn finden muss, dafür sind sogenannte Bodenindikatoren, auch Leitlinien genannt, zuständig. Rippen und Rillen, die sich ertasten lassen. Laufen sie quer, bedeutet dies „Stopp – hier nicht queren“. Laufen sie jedoch längs, heißt dies „Hier ist der Weg“.

Eine solche barrierefreie Doppelquerungsfurt kommt übrigens nicht nur Behinderten zugute. Auch mit Kinderwagen und Fahrrad lässt sich die auf zwei Zentimeter abgesenkte Bordsteinkante leichter queren. Sie auf Null abzusenken wäre für Sehbehinderte zu gefährlich. Sie brauchen die Kante, um den Gehsteig von der Fahrbahn unterscheiden zu können. Dass inzwischen allein im Marktort neun Behindertenparkplätze existieren, die zum Teil von den Autofahrern respektiert werden, dies gefällt Gerhard Freunscht auch. Allerdings hat die Recherche bei der Polizei ergeben, dass eigentlich nur der am Marktplatz rechtsverbindlich ist. Alle anderen Varianten – Rollstuhlsymbol am Boden bei Rewe, Norma und Beck, kleine blaue Schilder mit weißem „P“ und Rollstuhl bei Brothaus und Cabire oder schwarzer Rollstuhl auf weißem Schild beim Kiga Gerbersleite, dem Rathaus und der Mehrzweckhalle stehen, so der Fachausdruck, auf „tatsächlich öffentlichem Verkehrsgrund“ und genügen ohne offizielles blaues Parkschild plus dem Zusatzzeichen Rollstuhlsymbol nicht den Vorschriften. Laut Helmut Bednarzik, Experte für Verkehrssicherheit bei der PI Herzogenaurach, ist es Aufgabe der Grundstückseigentümer, die nötigen Schilder anzuschaffen, sie aufstellen zu lassen und vorher die verkehrsrechtliche Anordnung der Kommune einzuholen.

Unzufrieden ist Freunscht aber mit der Lage des Stellplatzes bei Norma. Von dort aus muss der Behinderte auf dem Weg zum Eingang erst eine Steigung überwinden. Der Platz gehöre dorthin, wo bisher Fahrräder parken, fordert der Behinderten-Beauftragte. Ein Problem sieht er auch beim Marktplatz-Stellplatz parallel zum Gehsteig, weil er häufig achtlos von Autofahrern teils zugeparkt wird. Denn der dahinter liegende allgemeine Stellplatz ist recht kurz. Und da die Abmessungen für Behindertenstellplätze sowieso jüngst geändert wurden – jetzt Mindestlänge 7,50 Meter, wenn parallel zur Fahrbahn – möchte er gern diesen kurzen Platz dem für Behinderte zugeschlagen sehen.

In Planungen einbezogen

Zur Aufgabe eines Behinderten-Beauftragten gehört aber auch, den Fokus nicht nur auf die barrierefreie Gestaltung von Verkehrsräumen, sondern auch öffentlicher Gebäude zu richten. So war Freunscht bei der Sanierung des evangelischen Kindergartens, des Mitteltrakts der Schule, der Schulturnhalle, der Sanierung zweier Haltestellen des ÖPNV und der aktuell geplanten Ballsporthalle zur Barrierefreiheit fachkundig beratend und manchmal auch fordernd in die Planung einbezogen.

Bereits seit der Gründung des Weisendorfer Seniorenbeirats 2005 hat er sich als Vertreter der Menschen mit Behinderung engagiert. Im Jahr 2008 wurde er dann offiziell als Behinderten-Beauftragter installiert; als erster übrigens im ganzen Landkreis. In der Zwischenzeit sind es deren zehn, bei insgesamt 25 Kommunen. Zu ihren Aufgaben gehört auch die kooperative Zusammenarbeit mit verschiedensten Instanzen im staatlichen wie privaten Bereich. Zum Beispiel, wenn es um den auch im Gemeindegebiet zu beobachtenden Bauboom geht.

Denn Artikel 48 der Bayerischen Bauordnung zurrt das Paket zur Barrierefreiheit immer fester, auch private Neubauten betreffend. Ab drei Wohnungen — egal ob bei Miete oder Eigentum – muss stets eine Einheit barrierefrei erreichbar und nutzbar sein. Diese Vorgabe steigert sich im Dreier-Schritt. Wer also ein 15-Familien-Haus baut, der muss fünf barrierefreie Wohnungen einplanen, dazu einen Aufzug. Eine Forderung, die Gerhard Freunscht in seinem Wirkungsbereich aufmerksam verfolgt.

Die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Bedürfnisse Behinderter, älterer Menschen mit Rollator oder Mütter mit Kinderwagen gehört ebenfalls dazu. Zum Beispiel auch dafür, dass man jenen drei Gruppen nicht egoistisch den für sie ausgewiesenen Parkplatz nahe dem Eingang eines Supermarktes wegnehmen sollte. Auch, wenn man glaubt, „nur ganz kurz etwas einkaufen zu müssen“.

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