Weisendorf: Viel Erhellendes vom Nachtwächter

7.10.2015, 08:57 Uhr
Weisendorf: Viel Erhellendes vom Nachtwächter

© Foto: Ingrid Jungfer

Nachtwächter Lothar Lehmann war bestens vorbereitet. Kein Wunder, beschäftigt er sich doch seit Jahrzehnten als Zugezogener mit der Historie des Marktorts und der Region. Er hat dazu publiziert, längere Zeit den „Weisendorfer Boten“ gepflegt und gehört schon lange dem Arbeitskreis für Geschichte und Brauchtumspflege an, der zum abendlichen Rundgang in der Ortsmitte eingeladen hatte.

Karoline Schmidt, Vorsitzende des AK, hatte zusätzlich eine historische Fotodokumentation in der Galerie fuenFinga aufgebaut. Unterstützt von Mitgliedern aus Weisendorfs Theatergruppe und weiteren Engagierten, ging es zunächst mit den Bürgern auf eine Zeitreise über die Jahrhunderte hinweg.

Startpunkt war der heutige Gimberlein-Parkplatz. Ein geschichtsträchtiger Ort, auf dem schon 1761 das Amtmann-Haus stand, später Rathaus genannt. Darunter lag ein großer historischer Keller, dem alte Weisendorfer heute noch nachtrauern, diente er doch Vorräten und Wein als gemeinsamer Lagerplatz. Ab der letzten Jahrhundertmitte standen dort sogar erste private Kühlschränke. Zu denen schickte man oft die Kinder, Gekühltes zu holen. Nicht jeder soll dies furchtlos erledigt haben. Der Anbruch des 21. Jahrhunderts machte dem alten Gewölbekeller dann den Garaus. Er wurde beim Abbruch des Rathauses zugeschüttet.

Die am heutigen Parkplatz südlich vorbeiführende Kirchenstraße galt ab dem 19. Jahrhundert als Straße der Handwerker. Und so erzählte zuerst Meister Roderus von seiner Arbeit, der Seilerei. Die Beckn-Tina erschien mit ihrem gefüllten Brotkorb. Und zuletzt stand die leibhaftige Prechtels-Gusti wieder vor ihrem, jetzt umgebauten Laden. Jene Gusti, die einen unbeschreiblich gut sortierten Laden von Hausrat, Garten- und Handwerksartikeln, selbst Spielzeug führte. Und was sie dann doch nicht hatte, immer mittwochs von auswärts besorgte. Dieses Original ist erst 1998 an ihrem 88. Geburtstag gestorben. Viele Augen leuchteten, als die Gusti ihnen plötzlich erschien, mit Küchenreibe und Kartoffelpresse im Korb.

Weiter ging es zur Blumenstraße 17. Dort gab es ab 1686 eine jüdische Gemeinde, mit Judenschule, Lehrerwohnung und Gebetsraum. Ab 1876 zog es dann immer mehr Juden in die Städte. 1930 wurde die Synagoge abgerissen, ein neues Gebäude errichtet. Bekannt wurde es durch die Stiegler-Zwillingsschwestern, die in ihrem Elternhaus gemeinsam noch ihren 100. Geburtstag feiern konnten.

Weisendorf: Viel Erhellendes vom Nachtwächter

© Foto: Ingrid Jungfer

Plötzlich Geschrei und Getöse. Kinder schlagen und raufen in der Hauptstraße. Es sind Schüler der katholischen Schule, heute Bäckerei Reuthlingshöfer und die der evangelischen, jetzt Kreissparkasse, die nach Schulschluss aneinander geraten. Bekanntlich war Weisendorf mit der Reformation evangelisch geworden. Später sorgten die katholischen Schlossherren dafür, dass vor allem Katholiken ansiedelten. Bald gab es konfessionelle Konflikte. Schräg gegenüber wartete mit dem Wirtshaus „Zum Goldnen Engel“ schon die nächste historische Rarität. 1831 von Adam oder Andreas Schmerler gebaut, verkaufte es der Auftraggeber, Schullehrer Kohmann, 1833 an David Marx Kaufmann. Die Initialen sind heute nach der Renovierung an der Fassade zu sehen. Weiter geht die Wanderung, vorbei am alten „Goldnen Engel“, der momentan entkernt auf Sanierung wartet.

Am Marktplatz, dem Mittelpunkt des ehemals im Rund gebauten Dorfes mit 22 Häusern, steht das älteste Wirtshaus „Zum Goldnen Hirschen“, allerdings etwas umgestaltet. Das Stürmer-Haus gegenüber von 1686, ehemals „Schwarzer Adler“, ist dagegen in der ursprünglichen Form und Fassade noch einzig erhalten. Daneben, im Gebäude der Apotheke, waren über viele Generationen Schmiede tätig. Das Haus steht mit der Dachtraufe parallel zur Straße, so wie alle Häuser vor dem Dreißigjährigen Krieg. Seine Nachbarn aber richten den Giebel zur Straße. Ein Hinweis, dass sie diesen den Krieg nicht überstanden hatten.

Auf dem Marktplatz wartete dann erneut eine Spielszene zu 1714. Freiherr von Lauter ist mit seiner eleganten Gemahlin anwesend. Kaum hat er den Markt eröffnet, erscheint der Amtmann aus Herzogenaurach mit zwei Hellebardenträgern und will den Markt verbieten. Es kommt zum lautstarken Disput, Marktfrauen und Bürger mischen sich heftig ein. Der Amtmann zieht sich samt Begleitung zurück. Das Volk jubelt. Zu früh. Erst 1820 ist Weisendorfs Marktrecht sicher, für vier Märkte pro Jahr.

Der„Jägerhof“ am heutigen Kreisel ist ein weiterer Standort eines alten Wirtshauses mit Fremdenzimmern, einem Brauhaus, einem Gerichtssaal im ersten Stock. Dazu war es Station für Postkutschen und Treffpunkt der Jäger. Und es hatte vor dem Komplex reichlich Gelände für das Kirchweihfest. Schließlich beanspruchte jedes Wirtshaus, sein eigenes Fest zu feiern.

Letztes Ziel war die frühere Ökonomie des Schlosses, heute Edith-Stein-Haus. Dort, nicht im Schloss selbst, erinnerte eine weitere Spielszene an eine große Hochzeit im Jahr 1919, als Freiherr Enoch von und zu Guttenberg im Schloss Freiin Elisabeth von und zu der Tann-Rathsamhausen geheiratet hat. Und die Weisendorfer auf dieses Fest so stolz waren. Schon 1834 und 1852 hatte es im Dorf prunkvolle Hochzeiten der Guttenbergs gegeben. Nach dem bekannten Politiker Karl Theodor zu Guttenberg hat man folgerichtig im Baugebiet Schlegelsberg eine Straße benannt. Seinen gleichnamigen Enkel, zurzeit aus der Politik ausgeschieden, hatte man vergeblich anlässlich des 725-jährigen Jubiläums des Marktorts eingeladen. Er weilte in den USA.

Zum 25-jährigen Marktjubiläum war man bescheidener. Man begnügte sich mit den unechten von Lauters und von Guttenbergs. Hauptsache, die spenden uns zum Schluss genügend Bonbons, meinten die Kinder. Auch die Erwachsenen spendeten – reichlich Beifall dem Nachtwächter und den Schauspielern.

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