„Wenn es eine Hölle gibt, dann war ich dort“

22.5.2016, 15:53 Uhr
„Wenn es eine Hölle gibt, dann war ich dort“

© F.: Colourbox

Auch Oskar (60), dessen Name wie die anderen frei erfunden, das Alter geschätzt ist, wollte dies vor sechs Jahren. Nach dem Entzug eben aus der Klinik entlassen, redete er ganz offen über sein Problem mit dem Bier. Damals, als die NN zum ersten Mal die Guttempler-Gruppe besuchten.

Vier Wochen vorher erst war er zur Selbsthilfe-Gruppe gestoßen und hat sie seitdem regelmäßig besucht. Er hat es tatsächlich geschafft, ist schon länger trocken. Ganz ohne Therapie und ausschließlich aufgrund der Gespräche mit Leidensgenossen und den ehrenamtlich Engagierten, versichert er heute. Er werde auch weiterhin zur Runde kommen, „solange er krabbeln“ könne.

Die Gruppe der Alkoholiker und Angehörigen, egal ob Mitglieder oder Nichtmitglieder, trifft sich Dienstagabend für eine Stunde, donnerstags sind es die von Drogen Abhängigen mit einer inzwischen eigenen Gruppe.

Sie alle tauschen sich regelmäßig aus, geben Ratschläge oder erhoffen sich welche von den anderen. Manche wollen einfach nur reden. Oder sich auch feiern lassen, dass man es geschafft hat. Bereits Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts schon war eine Gesprächsgruppe aktiv.

Als Guttempler-Gemeinschaft gegründet hat man sich dann 1994. Seitdem treffen sich Frauen und Männer jeglichen Alters und verschiedenster Herkunft im städtischen Freizeitheim, das die Stadt den Guttemplern kostenlos zur Nutzung überlässt.

Fast die Hälfte der Anwesenden waren diesmal Frauen. Nicht alle aber haben Probleme mit dem Alkohol, dafür ihre Partner. Auch der von Helena (63). Sie war am Ende ihrer Kräfte als sie zur Gruppe kam.

„Wenn es eine Hölle gibt, dann war ich dort“, sagt sie. Denn sie sei seelisch wie moralisch so weit unten gewesen wie er.

Sozusagen Co-abhängig war sie, weil sie sich schämte, dass der Gefährte trinkt und sie es vertuschte. Was sie dann in der Gesprächsgruppe erfahren und gelernt habe, das habe sie gerettet und dazu geführt, dass sie jetzt endlich darüber reden könne.

Endlich fühle sie sich wohl und genieße jetzt das Leben, allein. Der Verursacher ihrer Probleme jedoch trinkt weiter.

Anders jedoch Joe (45). Seit gerade mal acht Wochen gehört er zur Runde. Er hat während der Arbeitszeit im Hochbau getrunken, im Freundeskreis, Zuhause. Stets heimlich, keiner bemerkte seine Abhängigkeit von Bier und Schnaps. Wenn er am Morgen aufstand, war er zittrig und nervös. Erst nach ein bis zwei Bier, bekennt er, ging es wieder.

Aber er beließ es nicht dabei, sondern trank täglich zehn Bier und Schnaps bis er sich auf „Spiegel“ gebracht hatte. Sein Lieblingsgetränk war Jägermeister, selbst beim Autofahren. An seinem Geburtstag dann machte er rigoros Schluss. „Ich hör auf“, gab er Frau und Freundeskreis bekannt. Von irgendwo her kam der Tipp, zu den Guttemplern zu gehen.

Kürzlich war er erstmals wieder mit Freunden unterwegs – und erfuhr keinerlei Reaktion auf seine offenkundige Abstinenz. Das habe ihn enttäuscht, gesteht er. Erich Weber, von Anbeginn dabei und in Herzogenaurach der Vorstand der Guttempler, versteht die Enttäuschung. Schließlich brauche der Süchtige in dieser Situation von seiner Umgebung ein Lob.

Das weiß auch Eva (55). Sie habe vor Jahren die gleiche Erfahrung gemacht, dass „für die Leute das Aufhören selbstverständlich ist“.

Dabei ist dem keineswegs so. Denn auch in der Gruppe gibt es immer wieder solche, die wenn sie nicht die notwendige Unterstützung erfahren, nur Trinkpausen machen. Der Arbeitsstelle, des Lebensgefährten oder verlorenen Führerscheins wegen – bis dann wieder der Absturz kommt und sie die Gesprächsrunde aufgeben.

Eine ganz besondere Erfahrung hat auch Oskar gemacht. Vor Rentenbeginn leerte er etwa sechs Flaschen Bier pro Tag. Nach Renteneintritt steigerte er sich auf 10 bis 15 Flaschen.

Der Grund: Ihm fehlte der Lebensinhalt. Aber da er „immer ein fauler Hund war“, schüttete er sich lieber weiter mit Bier zu, anstatt sich eine neue Aufgabe zu suchen. Ergebnis seines „Saufens“ war ein körperlicher Zusammenbruch und eine doppelseitige Lungenentzündung. Ohne diesen Warnschuss, da ist er sich fast sicher, hätte er wohl nicht aufgehört.

Und dann ist da noch der Führerschein. Wird man mit zu viel Promille erwischt, gibt es Bußgeld, Punkte, eventuell auch ein Fahrverbot. Wird man innerhalb eines Jahres, wie Rüdiger (45) passiert, zweimal wegen Trunkenheit erwischt, ist der Führerschein fort. Und man gelte als vorbestraft.

Schlimm traf es auch Edgar (57) auf dem Rad. Er hatte gar keinen Führerschein, aber drei Promille, was auch für einen Radfahrer deutlich zu viel war.

Folglich musste er die MPU, die Medizinisch-Psychologische Untersuchung absolvieren, besser als Idiotentest bekannt und bekam Rad-Fahrverbot. Auf die erneute Fahrerlaubnis wartet er noch heute, obwohl er den langwierigen Urintest nachgereicht hat. Die Fahrerlaubnis müsse schriftlich beantragt werden erfuhr er. Dafür aber gebe es im Landkreis keinen amtlichen Vordruck.

Da waren die Gesprächsteilnehmer doch etwas fassungslos. Man schloss die Runde und zog gemeinsam zu Carlo gleich nebenan. Dort weiß man auf jeden Fall, welches Eis die Guttempler genießen dürfen. Schließlich enthält so manche Sorte etwas Alkohol.

Guttempler Herzogenaurach, Erlanger Straße 16, Freizeitheim, Gesprächsgruppen jeden Dienstag und Donnerstag von 19.30 bis 20.30 Uhr

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