Wirtshauskultur: Im Dschungel der Bürokratie

23.3.2015, 15:31 Uhr
Wirtshauskultur: Im Dschungel der Bürokratie
Wirtshauskultur: Im Dschungel der Bürokratie

Andreas Bär hat Glück: Der junge Gastronom hat einen Vater zur Seite, der ihn entscheidend stützt.  Der 67-jährige Paul Bär kümmert sich um die Bürokratie, die in dem Landgasthof mit Gasthaus und 16 Zimmern alltäglich anfallen.

Der Fall Bär in Burgstall ist ein Beispiel für die Aufgaben und Lasten, die die Wirte hierzulande tragen, und doch zeigt er einen Glücksfall: „Ohne meinen Vater müsste ich jemanden für den Bürokram anstellen“ sagt Andreas Bär, der seit drei Jahren Chef im Burgstaller Weg ist.

Geld, das den 35-Jährigen schmerzen würde, denn: „Das rechnet sich für mich dann irgendwann nicht mehr.“ Der Gasthof sei eben ein „Generationenprojekt“, meint der Senior und lacht während er in sein Glas Wasser guckt.  Seit vier Generationen sei das Haus in Familienbesitz, viele Zeiten haben die Bärs in der Gastronomie erlebt – doch jetzt könne einem inzwischen die Laune am Wirtsberuf vergehen. 

„Vor 40 Jahren bin ich in die Lehre gegangen, da gab es so etwas ähnliches wie  Mini-Jobs, doch das hat bei weitem nicht so viel Bürokram nach sich gezogen“, erinnert sich der Senior.  Jetzt hätten die Vorschriften und Auflagen dermaßen zugenommen, dass das Minimum an Bürokratie täglich gut drei Stunden verschlingt. „Vor 20 oder 30 Jahren hat das noch gut 30 Minuten in Anspruch genommen“, erzählt er.  

Hinzu komme die „wilde Herumrechnerei“ mit den unterschiedlichen Mehrwertsteuern, beklagen die Bärs. Natürlich profitierten sie von der Sieben-Prozent-Regelung für Hotelbetriebe, nach der sie im Einkauf sieben Prozent und im Verkauf 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnen.

„Total ungerecht“

Doch zahlen Gäste zum Beispiel sieben Prozent für die Übernachtung und den Verzehrbon, allerdings 19 Prozent für das Frühstück. Das mache Mühe, meint der studierte Betriebswirt Paul Bär, „und ist eine totale Ungerechtigkeit – auch, wenn wir nicht wollen, dass die Regelung wieder abgeschafft wird“.

Der Gasthof ist noch dunkel und menschenleer an diesem grauen Nachmittag, nur in der Küche brennt Licht. Der Sellerie tanzt und bollert im Topf auf dem Herd.  Erst in gut einer Stunde werden die ersten Hungrigen eintreffen – vor allem aus dem Hotel. Früher, vor 25 Jahren, erinnert sich der Senior, sei der Spielplatz im Garten voller Kinder gewesen, die Eltern saßen am Tisch und haben es sich gut gehen lassen, abends hätten Stammtische und essende Ehepaare die Wirtsstube gefüllt. „Vor allem die Familien haben heute kein Geld mehr“, meint Paul Bär. Die Promillegrenze für Autofahrer, das Rauchverbot und das allabendliche Fernsehprogramm sind für viele ein Grund aus den Kneipen abends weg zu bleiben.  

Buckel voller Schulden

„Die Wirtshäuser stehen leer und nach wenigen Jahren haben die Pächter den Buckel voller Schulden“, beklagt Andreas Bär. Wer ein zweites Standbein hat, dem gehe es besser. „Das ist heutzutage unerlässlich“; meint Bär. Er sei froh um die 16 Zimmer, die er anbieten könne, und die immer gut von Stammkunden, darunter adidas- oder Schaeffler-Mitarbeiter sowie Siemensianer, gebucht sind. 

Das Konsumverhalten des normalen Bürgers ist aktuell einem Wandel unterzogen, vielleicht stärker denn je. Denn der Verbraucher und Gast ist heute emanzipiert. Er weiß, welche Stoffe ihm gut tun und worauf er verzichten möchte. Die Produkte müssen bio, fair, saisonal, regional und oft vegan sein – das hat jüngst wieder die Bio-Fach in Nürnberg gezeigt (wir berichteten). „Der Gast ist sehr misstrauisch, dafür ist bestimmt eine Mischung der vielen bekannten Lebensmittelskandale verantwortlich“, meint der Chef. 

Laktoseintoleranz, Allergene oder Glutenfreiheit sind Worte, die einem häufig zu Ohr kommen. Dem liege der medizinische Fortschritt zugrunde, sind sich die beiden Männer einig, „es gibt mehr Empfindsame, weil mehr Menschen von Unverträglichkeiten und entsprechenden Krankheitsbildern wissen und zum anderen mehr Menschen diagnostiziert werden“.  Jeder Hausarzt habe inzwischen dazu dieses Wissen.

Obschon sie seit einigen Jahren mehr Gäste mit Gluten- oder Laktoseintoleranz haben, sind solche Spezialfälle „für unser Haus nicht so das Problem. Wir haben ja vor allem Stammkunden, die unsere Speisen seit Jahren so kennen und essen, egal ob Zusatz-, Konservierungs- oder allergene Stoffe in der Speisekarte gelistet stehen, wie es seit gut zehn Jahren Pflicht ist“, sagt Andreas Bär. Unter 100 Essen falle ein laktosefreies. Diese Listungen über Inhaltsstoffe „interessiert den Gast in 90 Prozent der Fälle nicht“. 

Das Problem sei, dass inzwischen Stoffe angegeben werden müssen, von denen die meisten Menschen irritiert sind, weil sie sie gar nicht kennen, findet Andreas Bär. Beispiel: Lupine. Der junge Wirt spricht sich dafür aus, „bedürfnisorientiert über Inhaltsstoffe Auskunft zu geben anstatt alles wahllos zu listen“ und die Speisekarte am Ende zu einem Buch mit sieben Siegeln zu machen.

Genau das könnte die Gastronomie irgendwann für den Erben oder den Pächter werden, wenn das bayerische und das deutsche Gesundheitsministerium sowie die EU weiterhin den Wirten die bürokratischen Daumenschrauben anlegt, meinen die Bärs.  Seitdem der Aischgründer Spiegelkarpfen eine geschützte Herkunftsbezeichnung ist und nur von entsprechend zertifizierten Bauern verkauft werden darf, habe sich noch kein Gast über die Echtheit der Heimat des Fischs auf dem Teller erkundigt.  Vielleicht liege es daran, dass ihre Gäste wüssten, dass Bärs nur vom bekannten und zuverlässigen Jäger oder dem Bauern im Ort kaufen und deswegen seit eh und je über die Herkunft und die Unbelastetheit der Lebensmittel Bescheid wissen.

Seine Mutter habe 30 Jahre lange gekocht und nie über Unverträglichkeiten nachgedacht, erinnert sich Andreas Bär. „Alles, was gezählt hat, war: Es muss gut schmecken, schön und warm auf dem Teller sein und gut duften.“ Ein bisschen vermisse er das in der sich wandelnden Gastronomie voller Bürokratie: Dass der Wirt mehr Zeit zum Kochen und Bedienen zurückgewinnt – und einfach wieder mehr Wirt sein kann.

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