Zwischen Kriegsbegeisterung und bitterster Armut

1.8.2014, 08:00 Uhr
Zwischen Kriegsbegeisterung und bitterster Armut

© Repro

Dass es ein Sonntag ist, erkennt man am Sonntagsstaat der älteren Männer: allesamt in Anzug und Krawatte, den Kopf mit einem Hut bedeckt.

Links davon die jüngeren Männer, legerer und ohne Schlips und Hut, im Vordergrund barfuß und vorwitzig einige Burschen und am Bildrand und im Hintergrund nur wenige Frauen. Schließlich ist das, was da verkündet wird, auch Männersache. Die Frauen sind erst gefragt, als ein zwei Tage später die Männer mit Blumen bekränzt von ihnen zum Bahnhof begleitet werden, denn sie müssen an die Westfront zum Kriegseinsatz. Und auf den Schultern der Frauen lastete dann alles, was die Familien in der Heimat zu ertragen hatten.

Noch hatte niemand so richtig begriffen, was da auf Europa zukommen sollte. Das grauenvolle Attentat von Sarajewo mit dem Tod des österreichischen Thronfolgers und seiner Gemahlin und die vom Kaiser immer wieder gepredigte Nibelungentreue gegenüber Österreich, beschäftigte die Menschen hierzulande.

Und als dann auch noch die Glocken anfingen zu läuten, da war es jedermann klar, dass aus dem Säbelgerassel nun blutiger Ernst werden würde.

Man sicherte sich in den folgenden Tagen vor dem gefürchteten Erzfeind Frankreich, stellte Leiterwagen mit Mist beladen, quer über die Straßen und wollte dem Feind mit Hacken, Äxten und Mistgabeln zu Leibe rücken, denn vor den Franzosen und deren Einmarsch hatte man die meiste Angst. Doch kein „Franzmann“ kam jemals in die Aurachstadt und die spätere Nachkriegspropaganda konnte sich damit rühmen, dass überhaupt kein ausländischer Soldat während des Krieges deutschen Boden betreten habe.

Bald folgte auf die Kriegsbegeisterung die Ernüchterung. Schon in den ersten Kriegswochen fielen fünf Herzogenauracher auf den Schlachtfeldern an der Westfront. Und mit zunehmender Kriegsdauer wurde auch den Herzogenaurachern bewusst, dass des Kaisers schöne Worte vom Kriegsende, „bevor die Blätter fallen“, Hirngespinste waren.

Bald merkte die hiesige Bevölkerung, dass der Krieg auch die Menschen in der Heimat nicht verschonen würde. Zwischen 1900 und 1914 gab es in der Stadt fast Vollbeschäftigung. In jenen Jahren war die Zahl der Beschäftigten in der Herzogenauracher Schuhindustrie auf rund 450 in fünf größeren Betrieben gestiegen. Doch mit Kriegsausbruch und den folgenden Einschnitten in der Zuteilung von Rohstoffen, musste eine Reihe von Kleinbetrieben (Filzschuhe bzw. Tuchschuhe) schließen. 1915 war von knapp 30 Betrieben gerade einmal die Hälfte übrig geblieben. Zu den fehlenden Rohstoffen kam die Tatsache, dass vor allem in der Schuhindustrie zahlreiche Facharbeiter im Fronteinsatz waren. So mussten die Firmen Weil und Konrad Schürr (65 Mitarbeiter), Heinrich Schürr (55 Angestellte) und Michael Bitter (15 Mitarbeiter) infolge der Zwangswirtschaft den Betrieb einstellen. Dass im Reich die Großbetriebe bevorzugt mit Rohstoffen beliefert wurden, war für die kleinen Betriebe in der Aurachstadt kein Trost, genauso wenig wie die staatlichen Entschädigungen, die ausbezahlt wurden, wenn hiesige Unternehmen ihre Betriebe freiwillig still legten. Und so überlebten bis zum Kriegsende in Herzogenaurach lediglich die Vereinigten Fränkischen Schuhfabriken, die im Kriegsjahr 1917 hauptsächlich Militär- und Holzschuhe produzierten. Auch die alteingesessene Tuchfabrik „Wirth und Söhne“, die bei Kriegsbeginn noch Uniformmäntel und Pferdedecken hergestellt hatte, kämpfte ums Überleben.

Mit zunehmender Kriegsdauer hatte die Reichsregierung beschlossen, zur Finanzierung des Krieges allgemeine Opfertage einzuführen. Allerdings hatte sich der Herzogenauracher Magistrat geweigert diese durchzuführen, auf diese und auf Haussammlungen wurde verzichtet, „ um die kleinen Leute nicht noch mehr zu belasten als bereits geschehen“. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wurde immer mehr eingeschränkt, nicht zuletzt wegen der von den Engländern verhängten Seeblockade. So mangelte es u. a. an Petroleum für Lampen oder an Carbid als Leuchtmittel, so dass sich nur noch wenige Familien die dringend notwendige Beleuchtung leisten konnten.

Im gesamten Reich sind die Winter 1916/17 sowie 1917/18 als Hungerwinter oder Kohl- und Steckrübenwinter bekannt geworden. In Herzogenaurach war das nicht anders. Wohl dem, der im Garten Gemüse oder Kartoffeln anbauen konnte. Die Stadtverwaltung versuchte mit der Einführung von Brot- und Fleischkarten die Engpässe in den Griff zu bekommen. Doch dies war ebenso schwierig wie der Kampf gegen Wucher oder Schleichhandel.

Zucker war sehr begehrt

Zu den beliebtesten Luxusgütern, die auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden, gehörte Zucker. Empfindliche Strafen drohten denen, die Hutzucker für mehr als 41 Pfennige das Pfund verkauften oder für Würfelzucker mehr verlangten als 42 Pfennige. Ähnlich wie nach dem 2. Weltkrieg wurde teilweise aus normalen Futterrüben Sirup gekocht.

Fleisch wurde ab 1916 nur noch für Lazarette und für Kranke ausgegeben. Dem Gastwirt Römmelt wurden in diesen schweren Tagen fünf Pfund Fleisch pro Woche zugeteilt und der Metzger Johann Welker erhielt kurz vor Kriegsende, Mitte August 1918, die Genehmigung, in den folgenden vier Wochen ein Stück Großvieh, ein Kalb und ein Schaf zu schlachten. Ein Teil des Fleisches musste jedoch an die beiden Lazarette im Kurhotel Monopol (am Eingang des Weihersbachgeländes, heute mexikanische Gaststätte) und im Liebfrauenhaus abgegeben werden.

Folgende wahre Begebenheit ist im Stadtarchiv festgehalten. Der Schutzmann Herbig beschlagnahmte 1918 in der vierten Augustwoche beim Gastwirt Drescher (Rotes Ross - heute Sparkasse) schwarzgeschlachtetes Fleisch. Nach seiner Meldung ordnete der Bezirkstierarzt an, dass das Fleisch an die genannten beiden Lazarette zu je 1/3 abgegeben werden sollte, während der Rest für kranke Personen in Herzogenaurach zur Verfügung gestellt wurde. Mit dieser Regelung war Herbig absolut nicht einverstanden und seine Äußerung: „Wenn ich gewusst hätte, dass das Kalb die Preußen (Soldaten im Lazarett) zu fressen kriegen, hätte ich in Sachen der Schwarzschlachtung überhaupt nichts unternommen“, brachte ihm einen Verweis seiner Vorgesetzten Behörde ein.

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