Höhlenwohnung als persönlicher Nostalgie-Ort

29.10.2011, 00:00 Uhr
Höhlenwohnung als persönlicher Nostalgie-Ort

© Wolf-Dietrich Nahr

Der obere Flügel der geteilten Holztür steht immer offen. Auf der Fensterbank gepflegte Blumenkübel, vor dem Haus ist ein Stoß mit Holzscheiten ordentlich aufgeschichtet, daneben ein Hackstock mit Beil, gerade so, also ob der Bewohner der Höhlenwohnung eben das Holzhacken unterbrochen hätte. Wer die steile Treppe zu dem zerklüfteten schmalen Vorplatz hinaufklettert, der wartet vergebens, dass vielleicht ein hier wohnhafter Höhlenmensch aus der verwitterten Tür tritt. Das Haus ohne Dach ist unbewohnt.

Überhaupt: „Haus ohne Dach“ ist falsch. Johanna Häusinger (Name geändert) öffnet am Ende des schmalen, mit ausgetretenen Ziegeln gepflasterten Flures eine Tür. Hinter der aus Bruchsteinen gezogenen Mauer liegt ein kleiner, fensterloser Abstellraum. Johanna Häusinger knipst die Taschenlampe an. So erkennt man im Zwielicht doch eine im Fels verborgene Dachkonstruktion. Sie soll gegen das Sickerwasser schützen, das aus dem Juragestein auf die Höhlenwohnung tropft.

Loch für den Ofen

„Im Winter warm, im Sommer kühl“, beschreibt Johanna Häusinger das Raumklima. Ein Loch in der Wand des einzigen Wohnraumes der Behausung im Fels weist darauf hin, dass hier einmal ein Ofen gestanden hat. Doch die Eigentümerin – sie lebt mit ihrer Familie in einem normalen Haus an der Straße – kann nicht beschreiben, wie es ist bei Minusgraden in der Höhle. Sie hat das Haus ohne Dach nie selbst bewohnt. „Das war unser Spielplatz“, erinnert sich die Kallmünzerin.

Bei Fragen nach den Ursprüngen, der Baugeschichte, den Menschen, die in der Höhlenwohnung ohne Wasser, Strom und Sanitäreinrichtungen gelebt haben, muss Johanna Häusinger passen. Im Grundbucharchiv in Amberg fand die Eigentümerin eine Urkunde, in der in krakeliger, kaum lesbarer Schrift die Jahreszahl 1707 auftaucht. In den Unterlagen der Familie entdeckte sie einen Kaufvertrag: Ihr Großvater hat die merkwürdige Unterkunft im Gestein direkt hinter seiner Schmiede von den damaligen Bewohnern im Jahr 1908 gekauft: Das Ehepaar Schindler wohnte danach offenbar noch Jahrzehnte unter dem Fels am Fuß der Kallmünzer Burg. Erst 1937 zogen die „Simmerls“ aus, weil er an Rheuma erkrankte – Folgen des feuchten Raumklimas in der Höhle oder seiner schweren Arbeit als Steinhauer?

Schweinefleisch im Fass

Johanna Häusinger zuckt mit den Achseln, was den Rest der Hausgeschichte angeht. Kopien der wenigen Schriftstücke hat sie gerahmt an die Wand des dreimal vier Meter großen Höhlenraumes gehängt, daneben historische Fotos von Kallmünz. Auf einem Tisch steht eine kleine Sammlung von alten Lampen, im Eck zwei alte Bierfässer, die die Familie vor vielen Jahrzehnten für das Einlegen von Schweinefleisch mit Salz und Gewürzen verwendet hat. Auf einem kleinen Tischchen eine antike Waage, im Vorraum neben einer Bank ein Schaukelpferd aus Plüsch.

Vor dem Hauseingang zieht plötzlich brenzliger Geruch in die Nase. Eine Tür gibt den Blick in einen weiteren Nebenraum frei, der vom Boden bis zur Decke pechschwarz ist: Eine historische Räucherkammer, in der die Familie Häusinger jeden Winter zweimal Bratwürsten mit qualmenden Sägespänen zur Konservierung einheizt.

Alles wirkt wie ein liebesvoll zusammengestelltes kleines Heimatmuseum, das täglich auf Publikum wartet. Doch dieser Eindruck täuscht. Johanna Häusinger hat im Haus mit Dach private Erinnerungstücke versammelt und pflegt in dem eigenartigen Raum unter dem Fels ihre persönliche Nostalgie, ihre „Privatatmosphäre“, wie sie sagt. Über ihre Gefühle und Motive will die scheue Frau nichts sagen.

Seit vielen Jahren ist die Wohnhöhle nicht mehr öffentlich zugänglich, die steile Treppe hinter einem hohen Holztor verborgen. Und Johanna Häusinger möchte in ihrer Privatsphäre von Neugierigen nicht behelligt werden. Aber kaum ein Tourist, der unten auf dem Vilsweg nicht staunend stehenbleibt und die Kamera hebt. Und so werden noch viele Fotos entstehen von dieser merkwürdigen Behausung.

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