Hunde-Ausbilder kritisiert Praxis bei der Polizei

29.11.2012, 08:29 Uhr
Hunde-Ausbilder kritisiert Praxis bei der Polizei

© dapd/privat

NZ: Herr Eßig, eine zentrale Aussage ihres Buches Teamplayer Hund lautet: Hunde kann man nicht erziehen. Können Sie das erklären?

Stefan Eßig: Erziehung kann immer nur zwischen zwei gleichgearteten Spezies stattfinden. Ein Mensch kann einen Menschen erziehen. Ein Hund, der im Alter von acht oder neun Wochen zu ihnen kommt, ist schon von dem Wurf und seiner Mutter erzogen. Der Mensch kann den Hund aber ausbilden. Das ist ein Unterschied. Der Begriff Erziehung setzt für mich eine Hierarchie voraus: Der Mensch ist nur der Erzieher, der Hund nur der Zögling, der auszuführen hat, was der Herr sich einbildet. Das kann so nicht funktionieren. Hunde müssen ausgebildet werden und zwar fundiert. Und dafür muss man beim Hundeführer anfangen, und nicht beim Hund. Die umfangreiche Wissensvermittlung an den Hundeführer ist der Schlüssel dazu, dass der Hundeführer wiederum in die Lage versetzt wird, den Hund ordentlich zu führen und ihn eben unfallfrei in die Menschenwelt zu integrieren. Ein guter Ausbilder ist immer auch ein Ermittler, der sich möglichst schnell einstellen muss auf Hund und Hundeführer. Das setzt zwingend eine gute Beobachtungsgabe voraus.

NZ: Findet Ihre These die Zustimmung der Hundeführer bei Polizei und Bundeswehr?

Eßig: Nein, die würden wohl nicht zustimmen. Das Denken ist einfach zu tief verwurzelt. Im Prinzip meinen wir ja oft dasselbe. Ich will eben einfach ein Umdenken erreichen. Ich habe sehr viel mit Problemtieren zu tun im privaten Bereich: Häufig werde ich von Klienten beauftragt, die letztendlich erst dann kommen, wenn das Kind schon im Brunnen liegt. Einen Hund kann man nun mal nicht nach Schema F trainieren oder ausbilden, weil auch der Hund individuell veranlagt ist.

NZ: Nun gelten die Belgischen oder Malinois-Schäferhunde nicht gerade als friedfertig...

Eßer: Aber bei weitem auch nicht jeder Malinois ist ein potenzieller Killer! Tatsächlich sind diese Hunde triebstärker und gezielt auf Härte gezüchtet. Sie haben den Deutschen Schäferhund aus dem einfachen Grund abgelöst, weil man sich einen schnelleren, wendigeren und leichteren Hund gewünscht hat. Das hat zur Folge gehabt, dass diese Malinois jetzt in Massen gezüchtet werden. Mir persönlich war übrigens der Deutsche Schäferhund als Diensthund immer lieber, weil diese Rasse gelassener ist, mehr Hüter als Verteidiger. Beim Malinois ist das etwas anderes.

NZ: Triebstärke ist aber nicht per se mit Aggressivität gleichzusetzen?

Eßer: Natürlich nicht. Aber die Bereitschaft vorwärts zu gehen, ist bei diesen Hunden etwas ausgeprägter.

NZ: Was ist Ihrer Meinung nach bei dem Vorfall in Polsdorf schiefgelaufen?

Eßer: Der Hund war einfach noch zu jung zum freilaufen. Wenn man sich vor Augen hält, dass die Hunde mit etwa zwölf Monaten in die Ausbildung gehen, dann kann der Hund eigentlich mit 24 Monaten gar nicht fertig sein. Im Training kommt neben dem Schutzdienst ja noch die Unterordnung dazu, also Lerninhalte wie bei Fuß gehen, die Freifolge bei Fuß, ablegen usw. Das kann natürlich für einen Hund auch zu viel sein. Und wenn nun der Hundeführer nicht in der Lage ist zu erkennen, ob der Hund schon weit genug ist, um frei zu laufen, dann passiert eben so was.

NZ: Der Hund stand aber immerhin kurz vor Abschluss seiner Prüfung.

Eßig: Noch einmal: Hunde sind reif wenn sie reif sind, und nicht, wenn eine Prüfungsordnung sagt, sie müssten jetzt reif sein. Nach meinem Dafürhalten sind alle Hunde, die im behördlichen, aber auch im privaten Bereich eingesetzt werden, schlichtweg zu jung. Ein mittelgroßer bis großer Hund ist eben erst mit drei Jahren körperlich und psychisch „erwachsen“.

NZ: Das heißt, die Behörden haben im Endeffekt Halbstarke dabei?

Eßig: Richtig. Und manche sind eben individuell reifer und „besser drauf“ als andere.

Warum nimmt man denn dann so junge Tiere?

Eßig: Das ist natürlich ein wirtschaftlicher Aspekt: Man will den Hund eben so lange einsetzen wie möglich. Ich gebe einen Betrag für einen Hund aus und erhoffe mir größtmögliche Leistung.

NZ: Ist es denn überhaupt möglich, einen Hund, wie in der Dienstvorschrift vorgesehen, zu hundert Prozent unter Kontrolle zu haben, auch wenn er in der Freiführung ist?

Eßig: Selbstverständlich ist das möglich. Aber es setzt einen sehr guten Hund und einen noch besseren Hundeführer voraus.

NZ: Wie werden denn die Ausbilder ausgebildet?

Eßig: Man muss vorausschicken, dass der Begriff eines Hundeausbilders oder Trainers bedauerlicherweise nicht geschützt ist. Es gibt also für dieses Berufsbild keine geregelte Ausbildung gibt.

NZ: Haben Sie Hoffnung, dass sich da was tut?

Eßig: Es müssten einige Dinge passieren, um solche Unfälle zu vermeiden. Schutzdienst gehört meiner Meinung nach nicht in private Hände. Die Hundeschulen, die in Deutschland wie Pilze aus dem Boden schießen, gehören strenger kontrolliert. Und auch auf behördlicher Seite muss sich etwas tun. Das Vorgehen und die Ausbildung ist immer die gleiche: Es werden diverse Situationen nachgestellt. Der Hund bekommt dadurch bestimmte Reizlagen vermittelt und der Hund muss darauf reagieren. Das ist in dem Fall mit den Kindern dann ja auch schiefgegangen: Der Hund hat – aufgrund der tobenden Kinder – eine Reizlage vermutet, und hat dieser Reizlage Folge geleistet und zugebissen.

NZ: Aber dennoch muss es da doch einen Befehl geben, der den Hund sofort zurückruft.

Eßig: Das ist richtig, der Hund muss immer abrufbar bleiben. Die Polizei will ja offensichtlich gerade nicht offenlegen, wer den Hund in Polsdorf abgerufen hat – was die Vermutung nahelegt, dass es die Hundeführerin nicht gewesen ist. In jedem Fall sind die Kinder verständlicherweise in Panik geraten, und haben damit dem Hund immer wieder aufs neue eine Reizlage geliefert. Man muss sich das vorstellen wie mit dem Fuchs im Hühnerstall: Blieben die Hühner ruhig sitzen, würde sich der Fuchs ein einzelnes Opfer heraussuchen und verschwinden. Flattern aber alle in Panik wild durcheinander, hört der Fuchs erst auf, wenn wieder Ruhe ist...

NZ: Wird der Vorfall Ihrer Meinung nach was verändern?

Eßig: Das ist jetzt ein Vorfall, der bekanntgeworden ist. Es gibt sicherlich auch Vorfälle, von denen die Öffentlichkeit weniger mitbekommt. Aber ändern wird sich erst dann etwas, wenn man endlich von der gängigen Praxis absieht, alles anzukaufen, was an Hunden einer bestimmten Rasse am Markt ist. Wenn man von diversen Hundesportvereinen die Zeitungen aufschlägt, dann springen einem im Anzeigenbereich die Kaufgesuche von allen Behörden entgegen. Da werden sicherlich auch Hunde angekauft, die vom Wesen her eben nicht einwandfrei in Ordnung sind.

NZ: Hat man denn eine Chance, beim Kauf sowas zu merken?

Eßig: Ja, die Chance gibt es natürlich. Aber auch dabei kommt es eben wieder auf die fachliche Qualifikation des Ankäufers an. Es geht letztlich immer am Menschen raus. Er ist der Schlüssel zum Glück – als Trainer, Führer und selbstverständlich auch als Ankäufer.

Weitere Informationen: http://teamplayerhund.de
 

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