Hundehalter aufgepasst: Wenn Zucht zur Qual wird

28.11.2018, 17:09 Uhr
Knautschiges Gesicht mit kurzer Schnauze: Die Optik von Möpsen führt Menschen zwar zur Verzückung, bei den Hunden selbst aber zu Atemnot.

© Lea-Verena Meingast Knautschiges Gesicht mit kurzer Schnauze: Die Optik von Möpsen führt Menschen zwar zur Verzückung, bei den Hunden selbst aber zu Atemnot.

Frau Strodtbeck, seit rund 15.000 Jahren züchtet der Mensch Hunde- bisher eine einzige Erfolgsgeschichte. Warum läuft es aktuell in der Zucht so gewaltig schief?

Hundehalter aufgepasst: Wenn Zucht zur Qual wird

© privat

Sophie Strodtbeck: Weil der Mensch begonnen hat, Hunde nur noch nach äußeren Merkmalen zu kreieren. Sprich: Anstatt weiter die für die jeweilige Rasse leistungsfähigsten und gesündesten Exemplare in die Zucht zu nehmen, wird oft nach Optik selektiert und gezüchtet. In Schauveranstaltungen werden zudem die "schönsten" Hunde prämiert und so völlig falsche Ideale vermittelt.

Immer öfter fällt in diesem Zusammenhang der Begriff "Qualzucht". Ab wann kann man eigentlich von einer Qualzucht sprechen?

Strodtbeck: Eine klare Definition dafür gibt es nicht, noch dazu betrifft es ja nicht alle Rassen. Wenn allerdings ein Tier aufgrund angezüchteter Merkmale deutliche Einschränkungen in Gesundheit oder im Verhalten erleidet, kann man meines Erachtens von Qualzucht sprechen.

Welche Merkmale sprechen Sie da an?

Strodtbeck: Ganz groß "in Mode" sind Rassen, die das Kindchenschema bedienen, also Hunde mit kurzen Schnauzen und Glubschaugen. Die krassesten optischen Beispiele dieser Fehlzüchtungen findet man unter den an sich schon kleinen Gesellschaftshunden wie den englischen und französischen Bulldoggen, aber auch bei Mops, Pekinese und Co. Diese Züchtungen leiden allesamt unter extremer Brachyzephalie, also Kurzköpfigkeit.

Was versteht man unter Brachyzephalie?

Strodtbeck: Das ist eine menschengemachte Erbkrankheit, die zu lebenslang anhaltenden gesundheitlichen Schäden führt. Diese Schäden begründen sich unter anderem auf gezielte Umformungen des Hundeschädels. Also genau die Umformungen, welche nötig sind, um das gewünschte Kindchenschema zu erreichen. Diese Umformungen haben zu starken Deformationen an allen oberen Atemwegen, dem Gebiss, dem Mittelohr, den Augen und dem Gehirn geführt.

Nehmen Sie den Kavalier King Charles Spaniel: Dessen Schädel ist so verformt, dass das Kleinhirn, das sich im Hinterkopf befindet, darin keinen Platz mehr hat. Das führt zu einer Kompression des Kleinhirns und des Hirnstammes am Übergang vom Schädel zum ersten Halswirbel. Man muss kein Experte sein, um prognostizieren zu können, dass dies dem Hund Schmerzen bereitet. Und auch dem Mops bereitet es sicher nur ganz wenig Vergnügen, wenn ihm hin und wieder eines seiner Augen aus der viel zu flachen Augenhöhle fällt. Das größte Problem betrifft allerdings die Nasen, also die Atmungsorgane.

Die bei diesen Hunden extrem kurz gezüchtet sind…

Strodtbeck: Genau. Damit die Hunde besonders niedlich aussehen, wurde die Schnauze immer kürzer gezüchtet. Deshalb bekommen die Hunde kaum mehr Luft, sie können ihre Körpertemperatur nicht mehr regulieren und teilweise nur noch im Sitzen schlafen, weil im Liegen zu viel Druck auf dem Brustkorb ist, um noch atmen zu können.

Zum Vergleich: Stecken Sie sich für 24 Stunden den Zeigefinger in die Nase und versuchen Sie, alleine in Alltagssituationen genügend Luft zu bekommen. So in etwa fühlt sich der Hund – allerdings sein ganzes Leben lang und unter wesentlich anstrengenderen Bedingungen.

Außerdem sind die für die Befeuchtung, Erwärmung oder Abkühlung der Atemluft wichtigen Nasenmuscheln dieser Tiere mittlerweile so klein, dass die Regelung der Körpertemperatur nicht mehr gewährleistet ist. Es darf also keinen verwundern, wenn der Mops oder die Bulldogge bei Temperaturen über 25 Grad tot umfällt. Übrigens: Durch diese stark deformierten Schädel müssen 80 Prozent der Geburten bei französischer Bulldogge & Co. mittels Kaiserschnitt durchgeführt werden. Und selbst beim Deckakt muss oft nachgeholfen werden – weil dem Rüden ansonsten sprichwörtlich die Puste ausgeht.

Die Verfehlungen in der Zucht betreffen aber nicht nur die kurzen Schnauzen…?

Strodtbeck: Keineswegs. Bassets oder Mastiffs beispielsweise kämpfen mit viel zu großen Falten und können sich unter der eigenen Last kaum noch bewegen und beim Bobtail müssen sie die Augen schon ausschneiden, damit er geradeaus laufen kann – weil man ihm eben viel zu viel Fell angezüchtet hat. Diese Veränderungen der äußeren Merkmale beim Hund durch den Menschen richten beim Tier aber nicht nur starke gesundheitliche Schäden an, sondern schränken es auch dramatisch in der Kommunikation mit Artgenossen ein.

Frau Strodtbeck, Sie sind Tierärztin. Ist ihr Berufsstamm hier nicht auch in der Pflicht, auf diese Missstände besser und lauter hinzuweisen? Oder sind die Tierärzte letztlich gar Profiteure von der ganzen Misere?

Strodtbeck: Das ist nicht von der Hand zu weisen. In der Tat gibt es Tierärzte, die sich als "Reparaturtrupp" auf solche Fälle spezialisiert haben, zum Beispiel durch Operationen am Gaumensegel. Gerne macht das allerdings keiner meiner Kollegen. Von der Bundestierärztekammer werden nun vermehrt Aktionen und runde Tische ins Leben gerufen, um dieser lebensverachtenden Zuchtentwicklung Einhalt zu gewähren. Aber wir Tierärzte werden dieses Problem mit Sicherheit nicht alleine lösen.

Wen nehmen Sie konkret noch alles in die Pflicht?

Strodtbeck: Die Hundezucht ist ein großer Markt. Und wie bei Märkten so üblich, steht und fällt alles mit der Nachfrage. Sprich: Solange es Menschen gibt, die durch den Kauf von Welpen aus Qualzuchten die Nachfrage erhalten oder sogar noch steigern, wird dieser Irrsinn kein Ende nehmen. Und natürlich sind die Züchter selbst auch in der Pflicht – erst recht deren Dachverband, der VDH. Dieser Dachverband gibt als Kriterium zur Zuchtzulassung von kurzschnäuzigen Rassen einen Belastungstest vor, bei denen die Hunde 1000 Meter innerhalb von 11 Minuten zurücklegen müssen. Das hätte meine 17-jährige Beagle-Oma dreibeinig geschafft... Hier stehen gesundheitliche Aspekte also völlig im Hintergrund.

Auch die Schauveranstaltungen des Verbands sind Ihnen ein Dorn im Auge…

Strodtbeck: Solange der VDH weiter munter Hundeshows abhält, bei denen völlig falsche Ideale vermittelt werden, wird bei den Haltern nur schwer ein Umdenken stattfinden. Schon gar nicht bei den vielen Züchtern, die für ihre Qualzuchten ja auch noch Preise und Pokale bekommen. Denn es ist ja offensichtlich, dass die Hunderichter bei diesen Veranstaltungen aus medizinischen Laien bestehen oder sogar selbst Züchter sind. Bei diesen Schau-Hunden gibt es also nicht annähernd eine funktionierende Qualitätskontrolle.

Wie schaut es da mit dem Gesetzgeber aus? Existieren zu Qualzuchten keine Paragraphen?

Strodtbeck: Prinzipiell schon. Aber der betreffende Paragraph 11 Tierschutzgesetz ist dermaßen schwammig formuliert, dass es kein großes Boot braucht, um ihn zu umschiffen. Hier ist eine Überarbeitung vonseiten des Gesetzgebers dringend notwendig.

Trotzdem liegt es größtenteils an den Hundehaltern, diese Misere zu beenden.

Strodtbeck: Wie erwähnt: Solange eine Nachfrage besteht, wird diese auch befriedigt werden. Nachschub kommt mittlerweile bevorzugt von osteuropäischen Hinterhof-Vermehrern. Denn zu dem ganzen gesundheitlichen Dilemma der Tiere gesellt sich obendrein nicht selten noch die "Geiz-ist-geil"-Mentalität vieler Käufer. Aber auch der Kauf bei einem "seriösen" Züchter heizt den Markt weiter an. Es muss endlich in die Köpfe der Leute, dass sie sich und diesen Hunden nichts Gutes tun, wenn sie Hunde dieser Rassen kaufen. 

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