Junge Flüchtlinge fühlen sich nicht mehr in Sicherheit

1.9.2017, 08:00 Uhr
Junge Flüchtlinge fühlen sich nicht mehr in Sicherheit

© Georgi Licovski / dpa

Ob es ein gelungener Vergleich ist, darüber kann man streiten. Die drei Psychotherapeutinnen, die mit am Tisch sitzen, verziehen denn auch ihre Gesichter leicht schmerzverzerrt, als der Psychiater Peter Leupold irgendwann lospoltert: „Das erinnert mich alles an die USA, wo man Todesstrafenkandidaten reanimiert, um sie hinzurichten.“
Die drastische Sprachbildwahl des langjährigen Leiters des zum Klinikum Nürnberg gehörenden Ambulanten Behandlungs Centrums (ABC) Ost ist fachlichem Frust, staatsbürgerlichem Unverständnis und einem gehörigen Maß politischen Zorns geschuldet. All das teilen im Grund auch die drei Kolleginnen. Nur dass bei dem eigentlich so gemütlich wirkenden Psychiater Peter Leupold noch ein sich im Gespräch aufschaukelndes Temperament hinzukommt.

Chaos und Gewalt erlebt

Leupold behandelt im Rahmen seiner Arbeit seit Jahren auch junge Flüchtlinge. Genau wie die beiden Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen Cornelia Volk und Dorothea Weinberg sowie Fiona Reuter, die in den Einrichtungen des Vereins Wohngemeinschaft für Flüchtlingskinder Nürnberg seit Jahresbeginn einen Psychologischen Fachdienst anbietet und parallel dazu im Klinikum ihre Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin absolviert. Alle vier sind überzeugt davon, dass die Öffentlichkeit endlich erfahren sollte, wie die unter ihren Patienten zunehmende Existenzangst alle Therapiebemühungen zunichtezumachen droht.
Es geht um Menschen, die als unbegleitete Minderjährige aus Afghanistan, dem Irak, aus Äthiopien, Eritrea, dem Sudan oder anderen von Kriegen, Armut, staatlichem Chaos und Korruption gebeutelten Ländern oft auf langen Umwegen geflohen sind. Die dabei Gewalt, Tod, Sklaverei oder Vergewaltigung erlebt haben. Die oft mit Hilfe von Schlepperbanden irgendwann hier in Deutschland landeten, glaubten endlich in Sicherheit zu sein und jetzt zu spüren bekommen, dass sie es tatsächlich immer weniger sind.
Leupold und die drei Therapeutinnen behandeln bei vielen dieser Patienten sogenannte Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Die katastrophalen Erlebnisse, die die jungen Menschen im Krieg oder später auf der Flucht gemacht haben, holen sie immer wieder ein, beeinträchtigen ihren Alltag und führen zu höchst dramatischen Flashbacks. Bei diesem plötzlichen Wiedererleben traumatischer Situationen sind die Betroffenen oft kaum noch ansprechbar und am Rande des Kollaps.


Die „emotionale Stabilisierung“, erläutert die Fürther Therapeutin Cornelia Volk, gilt als erste Stufe einer PTBS-Therapie. Es wird versucht, durch Atem- und Körperübungen sowie durch mentales Training „eine innere Vorstellungswelt zu entwickeln, mit der man sich in Stresssituationen stabilisieren kann“. In einer zweiten Phase geht es um bestimmte Techniken, die es erlauben, die oft in Albträumen zurückkehrenden Erlebnisse „positiv zu überschreiben“, sie um ein Happy End zu ergänzen.
Es sind Versuche, den traumatisierten Menschen ein Weiterleben ohne Panik und psychischen Dauerstress zu ermöglichen. „Jede Therapie braucht innere und äußere Sicherheit“, sagt Cornelia Volk. „Und die ist heute immer weniger gegeben.“ Früher, erzählt die Therapeutin, habe sie jungen Flüchtlingen gelegentlich empfohlen, „sich eine Deutschlandfahne übers Bett zu hängen, damit sie, wenn sie aus Albträumen erwachten, schnell wussten, dass sie in Sicherheit sind“. Seit unter Afghanen, Äthiopiern und anderen Flüchtlingen die permanente Angst vor Abschiebung umgeht, funktioniert dieser simple Trick nicht mehr. Volk: „Die antworten mir: Ich bin hier nicht in Sicherheit.“
Fiona Reuter erlebt bei ihrer praktischen Arbeit dennoch, „wie übermäßig motiviert“ die Klienten die Therapieempfehlungen befolgen, obwohl sie in ihren Herkunftskulturen keinen rechten Begriff von Psyche mitbekommen haben und das Thema dort oft tabuisiert ist. In schweren Fällen, wenn aus der PTBS Depression und Suizidgefahr wachsen, wird den Betroffenen aber irgendwann auch klar, dass sie mit ihrer Therapie als allererstes eines erreichen: Sie beseitigen ihr einziges Abschiebehindernis. Dass sie traumatisiert sind, das schützt sie nicht vor der Zwangsrückführung. Nur eine attestierte Selbstmordgefährdung verhindert die Abschiebung. „Und man hat leider den Eindruck, als würden in jüngster Zeit Asylanträge routinemäßig abgelehnt“, sagt Dorothea Weinberg.
Reihenweise können die Psychotherapeuten zudem von Fällen erzählen, in denen jungen, zunächst hochmotivierten Flüchtlingen vom Ausländeramt verweigert wird, eine Arbeit aufzunehmen oder eine Ausbildung zu beginnen, obwohl mit dem Arbeitgeber bereits ein Vertrag unterschrieben ist. Die Jugendlichen werden zum Nichtstun gezwungen. Nicht nur Peter Leupold vermutet gerade in Bayern politischen Willen hinter diesem, für die Betroffenen schier unerträglichen, Vorgehen.


Keine Gründe gefunden

Erst jüngst hat er erlebt, wie einer jungen Äthiopierin, deren Narben an Körper und Seele sie noch heute an Gefängnis, Folter und Vergewaltigungen erinnern, zunächst der Asylantrag und dann trotz Schulabschluss und guter Noten die Aufnahme einer Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten verweigert wurde. Die zuständige Behörde konnte laut Bescheid „keine Gesichtspunkte“ ausmachen, „die derart gewichtig wären, Ihnen unter Berücksichtigung der aktuellen Sach- und Rechtslage die Ausübung einer Erwerbstätigkeit (Ausbildung)“ zu ermöglichen. Leupold fiele sofort ein Grund ein: „Wir brauchen solche intelligenten und leistungsbereiten Leute eigentlich dringend.“
„Wenn wir so mit jungen Menschen umgehen“, ist Dorothea Weinberg überzeugt, „wählen viele fast zwangsläufig den Weg in die Illegalität beziehungsweise in Kriminalität oder Radikalisierung.“ Was nichts anderes heißt, als dass eine demonstrativ restriktive Flüchtlingspolitik am Ende der Gesellschaft die noch viel größeren Probleme bereitet.
Für den Psychiater Peter Leupold steht fest: „Wir leben in einem unfassbar gnadenlosen Land.“

 

 

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