Kranker Ex-Soldat will Entschädigung

3.9.2010, 15:28 Uhr
Kranker Ex-Soldat will Entschädigung

© privat

Zwölf Jahre (1964 bis 1976) hat Richard Grund bei der Bundeswehr gedient, im Jahr 1999 operierte ein Fürther Chirurg dem ehemaligen Oberfeldwebel einen Tumor aus dem Kopf, groß wie eine Orange. Seine ständigen Kopfschmerzen war er nun los, doch seine rechte Gesichtshälfte blieb fortan gelähmt, sein Gehör hat er verloren.

Grund musste in Pension, gilt seither zu 100 Prozent als behindert. „B“ für Begleitperson, „G“ für gehbehindert und, das ist wohl die bitterste Formulierung, „H“ für hilflos steht seither in seinem Behindertenausweis. Doch Grund müht sich um Humor: Die Orange, der Tumor, war wohl größer als sein Hirn, spottet er und schüttelt den Kopf darüber, wie paradox es ist, dass er mit seiner Diagnose „gutartiger“ Tumor auch noch der Angeschmierte ist. Tausende seiner Kameraden, so schätzt er, sind bis heute krank – und ahnen noch immer nicht, dass sie an den Folgen radioaktiver Strahlung leiden. Rund 3750 Soldaten, sie haben sich im „Bund zur Unterstützung Radargeschädigter“ organisiert, sind da schon weiter. Der Radar-Geschädigten-Bund kämpft seit Jahren um eine Entschuldigung und um Entschädigung durch die Bundeswehr.

Bundeswehrführung stritt lange alles ab

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Noch vor zehn Jahren, so Grund, habe die Bundeswehrführung alles abgestritten. Doch als die engagierten Männer im Geschädigten-Bund mühsam Informationen sammelten und selbst an geheime Dokumente kamen, die als „Verschluss-Sache – nur für den internen Dienstgebrauch“ verschickt werden, gestand die Bundeswehr einige Probleme ein. Bis heute freilich werden nicht alle Krankheitsfälle anerkannt. Im Jahr 2003 setzte der Bundestag eine sogenannte Radar-Kommission ein, unter anderem besetzt mit Medizinern. Und im Mai 2006 bekam Peter Rasch, Vorsitzender des Radargeschädigten-Bundes, für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz.

Trotz dieser Ehrung ist Rasch, er leidet an schwerem Lungenkrebs, heute enttäuscht. Zwar ist inzwischen unbestritten, dass die militärischen Radargeräte Hunderten von Soldaten schwere Schäden zugefügt haben, dennoch empfahl die Radar-Kommission des Bundestages: Nur Soldaten mit Krebs, also mit bösartigen Tumoren, sind zu entschädigen. Bis jetzt haben nur 750 verstrahlte Soldaten erfolgreich prozessiert, darunter Menschen, die bis zu 16 Jahre lang geklagt haben.

Vergebens um Entschädigung bemüht

Richard Grund mühte sich vergebens um Entschädigung, weil er eben einen „gutartigen“ Tumor hatte. 2001 reichte er seinen Antrag beim Nürnberger Versorgungsamt ein, von dort wurde er an die Bundeswehr weitergeleitet, 2003 kam die Ablehnung. Nun schöpft Grund neue Hoffnung: Nach einem Urteil (B 9 VS 2/09 R) des Bundessozialgerichts (BSG) – ein Soldat hatte wegen seiner Gesundheitsschäden geklagt — hatte die „beklagte Bundesrepublik Deutschland keine Kompetenz, positiv oder negativ über gesundheitliche Folgen einer Wehrdienstbeschädigung zu entscheiden, die nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten sind“. Es geht also nicht um die Entscheidung selbst, sondern darum, welche Verwaltung in Wehrdienstbeschädigungs-Verfahren zuständig ist.

Für Richard Grund ist nach dieser höchstrichterliche Rechtsprechung klar: Die Versorgungsämter haben die Anträge der Radarsoldaten seit den 80er Jahren an die Bundeswehr weitergeleitet, und dort wurde über Entschädigungen der eigenen Opfer entschieden – doch ohne jede rechtliche Grundlage. Nun hat er gegen das Verteidigungsministerium wegen Amtsanmaßung bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anzeige erstattet; das Ermittlungsverfahren wurde gerade eingestellt, da der Bundeswehr kein vorsätzliches, strafbares Handeln nachzuweisen sei. Nun hat Richard Grund Beschwerde beim Generalstaatsanwalt eingelegt und will vor dem Sozialgericht Nürnberg um Entschädigung kämpfen. Richter Nenad Beyer ist einer der Experten, der bereits mehrfach mit Fällen von Radar-Soldaten zu tun hatte – er wartet nun gespannt darauf, welche Konsequenzen im Verteidigungsministerium aus dem Urteil gezogen werden. Derzeit sei die Sache völlig offen: Denkbar ist, dass alle Bescheide, die bislang ergangen sind, aufgehoben werden.

Müssen am Ende gar Renten zurückbezahlt werden? Richter Beyer hält dies für nahezu ausgeschlossen, da hier sicherlich der Bestandsschutz greifen wird. Umgekehrt gefragt: Muss sich die Bundeswehr nun auf hohe Schadensersatzforderungen einstellen? Fest steht: Es ist immer schwer, einen Zusammenhang zwischen Schädigung und Krankheit nachzuweisen

Derzeit erörtern die Juristen des Verteidigungsministeriums und des Ministeriums für Arbeit und Soziales das BSG-Urteil, schließlich soll „ein einheitliches Verständnis“ zum weiteren Vorgehen hergestellt werden. Dies dürfte noch einige Zeit in Anspruch nehmen – Matthias Mantey, Sprecher im Verteidigungsministerium weist darauf hin, dass die schriftlichen Urteilsgründe des BSG erst seit Juli vorliegen. Seine Auskunft ergänzt er mit dem Hinweis, dass die aktuelle Gesamtzahl der anhängigen Verfahren eher gering ist.

Am Einzelschicksal ändert dies freilich wenig. Richard Grund stapelt in seinem Büro im Cadolzburger Einfamilienhaus nach jahrelanger Kleinarbeit Unterlagen und Fachgutachten bis unter die Decke. In zahlreichen Expertisen versichern ihm Mediziner, Professoren und Biophysiker, dass die radioaktive Leuchtfarbe, die von der Bundeswehr genutzt wurde, um Instrumente und Schalter von Panzern, Schiffen und Flugzeugen zu bemalen, eine enorme Strahlenbelastung hatte und jene ionisierenden Strahlen auch gutartige Tumore auslösen können.

„Fast alles hat gestrahlt“

„Die Schilder, Tasten und Schalter – im Cockpit hat doch fast alles gestrahlt“, sagt Grund, der als Flugzeugmechaniker Rekruten schulte und am liebsten im Cockpit alles erklärte. Dass die Farbe gefährlich war, bestreitet die Bundeswehr gar nicht. 1969 wurde angeordnet, radiumhaltige Farbe künftig nicht mehr zu verwenden, bemalte Instrumente sollten „berührungssicher“ abgedeckt werden. 1980, da war Grund bereits vier Jahre weg, kam die Anordnung, bemalte Instrumente wegzuwerfen.

Zwölf Jahre hatte Grund den Rekruten die Schalter und Instrumente des Transportflugzeuges „Noratlas“ erklärt, ein Exemplar hatte er mit seinen Kollegen als Museumsstück am oberbayerischen Standort Penzing aufgestellt. Doch genau dort, wo er jahrelang gearbeitet hatte, ließ die Bundeswehr bald niemanden mehr hin — im Cockpit wurde radioaktive Strahlung gemessen.