Lage in Zirndorfer Flüchtlingscamp ist "nicht menschenwürdig"

28.8.2014, 18:30 Uhr
Wegen der Überfüllung der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) in Zirndorf müssen etwa 100 Flüchtlinge vorübergehend in einem Festzelt in Nürnberg leben.

© David Ebener/dpa Wegen der Überfüllung der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) in Zirndorf müssen etwa 100 Flüchtlinge vorübergehend in einem Festzelt in Nürnberg leben.

Notdürftig sind Bettlaken als Sichtschutz um die Doppelbetten gewickelt. Die Flüchtlinge versuchen verzweifelt, sich so wenigstens ein klitzekleines bisschen Privatsphäre zu erhalten. Doch das ist schwierig, in dem umfunktionierten Partyzelt auf dem Gelände der Zirndorfer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. 200 Menschen sind in dem Zelt untergebracht – Männer, Frauen, Familien, Kinder. Als "absoluten Notfall" bezeichnet der Sprecher der Regierung von Mittelfranken, Michael Münchow, wie die Flüchtlinge derzeit untergebracht werden müssen. "Das ist keine menschenwürdige Aufnahme mehr."

Sage und schreibe 1600 Menschen sind gerade auf dem Gelände der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE), die eigentlich für nur 650 Menschen ausgelegt ist. Neben den Häusern und dem großen Wohncontainer werden schon seit Monaten zwei Busgaragen und die Kapelle als Unterkunft für die Flüchtlinge genutzt. Seit einigen Tagen müssen auch der Speisesaal und die Cafeteria als Schlafplatz herhalten. "Es ist jeder Platz belegt, den wir mit Überdachung zur Verfügung haben", sagt Münchow. Doch auch das reicht nicht: "Allein heute hatten wir 260 Neuzugänge."

Daher hat die Regierung das große Partyzelt mit 200 Betten und fünf kleine Mannschaftszelte mit insgesamt 60 Plätzen aufgestellt. "Angenehm ist der Aufenthalt darin nicht", gibt Münchow zu. Es gehe jedoch zurzeit allein darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben.

An diesem Donnerstag ist die Lage in Zirndorf noch verhältnismäßig angenehm. Die Sonne scheint, es hat mehr als 20 Grad. Die Asylbewerber können sich im Freien aufhalten, die Kinder auf dem kleinen Spielplatz sein. Überall auf dem Gelände sitzen und stehen Menschen. Kaum vorstellbar, wie es ist, wenn es regnet. "Bei schlechtem Wetter sieht das deutlich schlechter aus", sagt Münchow. Die Menschen können hier nicht viel anderes tun als Warten. "Das schlägt natürlich auf die Stimmung." Extreme Überbelegung ist seit Monaten der Normalzustand. Der fast schon überstrapazierte Ausdruck "drangvolle Enge" trifft es jedoch langsam nicht mehr.

Ein 25-jähriger Mann aus dem Senegal steht am Eingang der Einrichtung und unterhält sich mit anderen Flüchtlingen. Auch er schläft in dem Partyzelt mit "Mischbelegung, die in irgendeiner Form funktioniert oder auch nicht", wie Münchow sagt. "Ich fühle mich dort nicht gut", sagt der 25-Jährige. "Es ist sehr schwer." Das Bett sei für ihn viel zu kurz und der Schlaf sei wegen des vielen Lärms oft unruhig. Seit vier Tagen ist der 25-Jährige in Zirndorf. In seinem Heimatland hat er Germanistik und Romanistik studiert und daher spricht er gut Deutsch. Über ein Austauschprogramm durfte er vier Wochen lang in Fulda sein. Danach wollte er nicht in den Senegal zurück – obwohl dort noch seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester sind.

Das Diakonische Werk nennt die Zustände in Zirndorf katastrophal. Besonders Kranke, Behinderte und Familien mit Kindern litten unter der Situation. 80 Duschen gibt es in der ZAE und 70 Toiletten – für 1600 Menschen. Auf dem Hof sind zurzeit wenige zusätzliche mobile Toilettenzellen aufgestellt.

Münchow sagt, oberste Priorität habe es, die Einrichtung wieder auf ein halbwegs normales Maß an Menschen zu bringen. "1000 neue Plätze in geeigneten Hallen sind dafür nötig", sagt Münchow – etwa in Sport- oder Lagerhallen. Die Regierung sei mit einigen Grundstückseigentümern in Nürnberg in Verhandlung, um die Menschen zumindest in solchen festen Gebäuden unterbringen zu können. Schon nächste Woche erhofft Münchow sich hier Verbesserungen.

Trotz des vom Bundesamt für Migration in dieser Woche verhängten Aufnahmestopps für Asylbewerber in Bayern muss sich die ZAE weiter um Flüchtlinge aus 40 Ländern kümmern, für die sie zuständig ist. "Der Aufnahmestopp entlastet uns nicht wirklich." Jeden Tag kommen 100 oder mehr Menschen neu hier an – aus der Ukraine, aus Syrien, Weißrussland oder Kasachstan. "Daher müssen wir weiter zusehen, dass wir zusätzliche Kapazitäten schaffen."

Einige Familien sitzen gerade mit ihren Koffern und Stofftieren in der Hand vor dem Eingang. "Alle, für die wir nicht originär zuständig sind, werden so schnell es geht weitergeschleust", sagt Münchow. "Aber auch die brauchen erstmal ein Bett und Essen."

Zelte für Asylbewerber in Nürnberg

Wegen der Überfüllung der Zirndorfer Asylbewerbereinrichtung bringt die Regierung von Mittelfranken etwa 200 Flüchtlinge vorübergehend in Zelten in Nürnberg unter.Das erste Festzelt für 100 Menschen wurde bereits im Süden der Stadt aufgestellt. Wie Regierungssprecher Michael Münchow am Donnerstag sagte, sollen hier vom kommenden Dienstag an Asylbewerber schlafen. Ein zweites Zelt mit der gleichen Kapazität soll an diesem Freitag westlich der Innenstadt errichtet werden. Hier könnten voraussichtlich von diesem Samstag an Flüchtlinge untergebracht werden.

Die Regierung hat sich für diese Notmaßnahme entschieden, weil die Zirndorfer Erstaufnahmeeinrichtung seit Tagen vollkommen überfüllt ist. Etwa 1600 Menschen – darunter 370 Kinder – leben auf einem Gelände, das nur für 650 ausgelegt ist. Nach dem Masern-bedingten Aufnahmestopp in der Münchner Einrichtung wurden alle in Bayern ankommenden Flüchtlinge nach Mittelfranken umgeleitet. Seit Mittwoch sollen jedoch auch in Zirndorf keine Menschen mehr aufgenommen werden.

Die Einrichtung in Mittelfranken sei jedoch weiter für Asylbewerber aus etwa 40 Ländern zuständig, sagte Münchow. Dazu zählten auch die Ukraine, Weißrussland und Kasachstan – also Länder, aus denen derzeit viele Menschen fliehen. "Wir müssen zudem weiter Asylbewerber aufnehmen, die selbstständig nach Bayern gekommen sind oder die von der Polizei zu uns gebracht werden." Diese Menschen müssten bis zu drei Tage in Mittelfranken untergebracht werden, bevor sie weitergeleitet werden können. Münchow betonte: "Und auch der Aufnahmestopp wird nicht anhalten. Die Lage wird sich daher nicht schnell entspannen."

Daher suche die Bezirksregierung nach "möglichst sinnvollen" anderen Unterbringungsmöglichkeiten wie etwa Hallen, damit die Flüchtlinge "so kurz als möglich" in den Zelten bleiben müssen. Zunächst müsse jedoch die überfüllte Einrichtung in Zirndorf etwas leerer werden.

Das erste weiße Festzelt mit Holzboden in Nürnberg wurde auf einem ehemaligen MAN-Gelände im Süden der Stadt aufgestellt. Ein Unternehmer hatte das Grundstück zur Verfügung gestellt. Das Bayerische Rote Kreuz stellt 100 Betten darin auf. Es werde beheizt und als Sanitäranlagen würden mobile Toiletten und Duschcontainer aufgestellt. Auch für Essen und Trinken für die Asylbewerber sei gesorgt. "Eine menschenwürdige Unterbringung ist das jedoch nicht", sagte der Leiter des Nürnberger Sozialamtes, Dieter Maly.

Ähnlich hatte sich Mittelfrankens Regierungspräsident Thomas Bauer geäußert: "Das ist eines europäischen Landes nicht würdig, wie wir mit Asylbewerbern umgehen." Das zweite Zelt wird auf dem Gelände einer Sportanlage aufgestellt. Dort gibt es zumindest stationäre Toiletten und Duschen.

Die Zelte könnten jedoch höchstens bis Mitte Oktober in Betrieb sein. "Dann wird es zu kalt", sagte Maly. Daher müsse die Regierung sich bemühen, die Menschen aus den Zelten als erste in andere Unterkünfte weiterzuleiten. "Eigentlich bräuchten wir so eine Art Flüchtlingsdörfer in Deutschland", sagte Maly. Denn der starke Zustrom von Asylbewerbern werde weiterhin nicht abreißen.

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