Lehrermangel: Lage in der Metropolregion ist angespannt

20.4.2017, 06:00 Uhr
Den Mangel an Lehrkräften bekommen vor allem die Schüler zu spüren.

© dapd Den Mangel an Lehrkräften bekommen vor allem die Schüler zu spüren.

In München nagelte eine Gruppe Eltern ein Bildungsmanifest an die Türen des Bayerischen Kultusministeriums. Darin forderten sie eine Überholung des gesamten Schulwesens in Bayern. Weniger Leistungsdruck dafür mehr Pädagogik und neue Unterrichtsformen lautete ihre Devise. Auch in einigen niederbayerischen Gemeinden stehen die Zeichen auf Sturm.

Der Grund: An den hiesigen Grund- und Mittelschulen fehlen nach wie vor Lehrer. Seit Monaten findet kein geplanter Unterricht statt. Die Klassen ohne Klassenleiter werden zusammengewürfelt oder aufgeteilt. Und so schnell wird sich das offenbar auch nicht ändern. Alle Volksschulen im Freistaat sind vom Lehrermangel betroffen. Auch an Förder-, Sonder-, Real-, und vor allem Berufsschulen ist der Mangel an Lehrkräften eklatant. So sehen das zumindest die Betroffenen.

Aus dem Kultusministerium hingegen ist zu vernehmen, dass es gar keinen Lehrermangel an den bayerischen Grund- und Mittelschulen gebe. Auch Unterrichtsausfälle seien nicht bekannt. "Die Grund- und Mittelschulen konnten im Schuljahr 2017 normal mit dem Unterricht starten", erklärt Ludwig Unger, Sprecher des Bayerischen Bildungsministeriums im Gespräch mit den Nürnberger Nachrichten. Die mobile Reserve sei bereits zum Schuljahresbeginn aufgestockt worden. Unger verweist in diesem Zusammenhang auf die Errungenschaften des neuen Bildungspakets, das in den kommenden Jahren weitere Entlastungen für alle Schularten bringen werde.

Mobile Reserve wird aufgestockt

Im Schuljahr 2018/2019 soll die mobile Reserve um weitere 50 Lehrkräfte aufgestockt werden. Dass Lehrerverbände und Bildungspolitiker zwar eine Aufstockung der mobilen Reserve um mindestens 300 Lehrer fordern - denn nur dann könne an den 3000 Grund- und Mittelschulen in Bayern realistisch vertreten werden - spielt keine Rolle. Pressesprecher Unger sagt, es sei ohnehin ein Kraftakt, 2000 Lehrer für das bayerische Gymnasium und die anderen Schularten einzustellen. In der Tat rekrutieren die Schulämter im Freistaat seit Anfang des Jahres pensionierte Lehrer, Lehramtsstudenten nach dem ersten Staatsexamen und seit neuestem auch Mitarbeiter ohne Uniabschluss mit pädagogischer Zusatzausbildung.

An einer Grundschule in München leitet zum Beispiel eine Flugbegleiterin mit pädagogischem Hintergrund eine dritte Klasse. "Fälle wie dieser führen unsere Lehrerausbildung in Bayern ad absurdum", sagt dazu Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen und Lehrerverbands (BLLV). Doch die besagte Münchner Schule sei hingegen sehr froh über die Unterstützung. 

Einstellungen erst im Laufe der Jahre

Für Fleischmann ist das neue Bildungspaket des Kultusministeriums allenfalls ein "Paketchen". Die sehnlichst erwartete Entlastung für die ohnehin schon überlasteten Lehrer beginne erst im Schuljahr 2018 zu wirken. Bis 2020 und darüber hinaus sollen die 1000 versprochenen Lehrer für die sogenannten anderen Schularten zum Einsatz kommen. Auch die 1000 Lehrer für das neue Gymnasium werden nicht zeitnah eingestellt, sondern erst im Laufe der kommenden Jahre.

Pressesprecher Unger verweist auf "die äußeren Umstände" und die Einstellung dieses großen Postens in den Staatshaushalt. Es gelte, so Unger, den parlamentarischen Weg einzuhalten und der lasse sich eben nicht beschleunigen. Quasi verpufft sind die Forderungen aus dem Brandbrief der Schulleiter der Grund- und Mittelschulen an Kultusminister Spaenle. Die im Bildungspaket versprochene Entlastung für die Schulleiter sei gar keine, sagt SPD-Bildungspolitiker Martin Güll und wundert sich, dass es nicht mehr Proteste von Seiten der Betroffenen gibt.

BLLV-Frontfrau Simone Fleischmann winkt ab. Eine zusätzliche Anrechnungsstunde mehr, also eine Stunde weniger Unterricht, und dafür eine Stunde mehr Zeit für die Leitung des Kollegiums sei per se "schon ein Witz". Denn an nahezu allen Grund- und Mittelschulen fehlten Lehrer und die Schulleiter vertreten die fehlenden Kollegen in den Klassen. "Wenn sie sich jetzt zurückziehen, um sich ihren Leitungsaufgaben zu widmen, verschärft sich die Situation für die anderen Kollegen ja noch zusätzlich", erklärt Fleischmann. Doch völlig umsonst sei der Brandbrief der Schulleiter auch nicht gewesen, betont die BLLV-Präsidentin. Die versprochene Aufstockung um 150 zusätzliche Verwaltungskräfte bringe schon etwas. 

Kritik am CSU-Bildungspaket

Der Bayerische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilt diese Auffassung nicht. "Das Bildungspäckchen der CSU-Landtagsfraktion ist ein Schlag ins Gesicht der Lehrer und Schüler an den Realschulen, Berufsschulen und Fachober- und Berufsoberschulen“, sagt Ruth Brenner vom Bezirksverband Mittelfranken. Brenner unterrichtet an einer Grundschule in Mittelfranken und weiß aus der täglichen Erfahrung, wie angespannt die Situation auch in der Metropolregion ist.

"Schon im laufenden Schuljahr fehlten Lehrkräfte", sagt die Gewerkschafterin. Lediglich 50 zusätzliche Stellen ab 2018 für die Mobile Reserve an Grund- und Mittelschulen und 50 zusätzliche Stellen für Förderschulen anzubieten, sei "wirklich ein Affront für all diejenigen, die seit Monaten auf Grund der vorherrschenden Not ständig vertreten haben". Diese Lehrer müssten nun erfahren, dass sich die Situation in den nächsten Jahren nicht verbessern wird - und sie müssen die sinkende Qualität des Unterrichts an den Schulen vor den Eltern verantworten, fürchtet Brenner.

"Der Markt an Lehrkräften ist leerfegt"

Mehr Lehrer zu fordern, obwohl es sie schlicht und ergreifend nicht gebe, mache keinen Sinn, sagt hingegen Fleischmann. "Der Markt ist komplett leergefegt". Arbeitslose Real- und Gymnasiallehrer umzuschulen und einzustellen, sei für das Ministerium auch keine echte oder zumindest keine grundsätzliche Alternative, denn dann müsste man sich eingestehen, dass die Lehrerausbildung in Bayern so wie sie heute aufgestellt ist keinen Sinn mehr macht und dringend reformiert werden sollte.

Gebe es die benötigten Lehrer, ist sich Fleischmann sicher, würde Spaenle sie sofort einstellen, denn am Geld hapere es diesmal nicht. Doch man müsse derzeit sehr vorsichtig mit Kritik sein, betont Fleischmann. Es könne nämlich noch erheblich schlimmer kommen: "Was ist denn, wenn die Stundentafel der Schüler plötzlich gekürzt wird und einfach weniger Unterricht stattfindet? Oder wenn das Kultusministerium die Grundarbeitszeit der Lehrer um ein paar Stunden erhöht? Dann haben wir aus meiner Sicht noch viel größere Probleme." 

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