Mobilität: Wie Landkreise Kluft zu Ballungsräumen überwinden

16.4.2018, 18:44 Uhr
In finanzschwächeren Kreisen wie Ansbach pflanzt die Schiene rasche Erfolge fort.

In finanzschwächeren Kreisen wie Ansbach pflanzt die Schiene rasche Erfolge fort.

Anita Ermer sitzt auf der grünen Bank an der Bushaltestelle in der Unterwurmbacher Siedlung in Gunzenhausen. Auf dem obersten Brett der Lehne steht "Mitfahrerbank", auf einem umklappbaren Schild daneben ist die Wunschrichtung angegeben. Es dauert meist nur zwei bis drei Minuten, bis ein Autofahrer hält und Anita Ermer mitnimmt.

Die Idee dahinter: mit Mitfahrbänken vor allem Senioren, aber auch Jugendlichen und Familien eine Beförderungsmöglichkeit schaffen, wo die Busverbindung schlecht ist, wo man aus dem Dorf nur einmal am Tag zum Einkaufen, zum Arzt oder Apotheker käme. In etlichen Gemeinden in der Region funktionieren solche Initiativen bereits.

Menschen ohne Auto zu mehr Mobilität verhelfen, das will auch die Initiative Bürgerbus Langenzenn ("Bübla"), bei der über 30 ehrenamtliche Chauffeure mit zwei Fahrzeugen auf einem festen Fahrplan Außenorte mit dem Kern der Stadt im Landkreis Fürth verbinden. 10.000 Passagiere nutzten das billige Angebot beispielsweise im Jahr 2016.

Mobilität der Zukunft

Andreas Mäders Vision der Mobilität in der Zukunft auch im ländlichen Raum geht noch weit über diese lobenswerten Initiativen hinaus. Als Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Großraum Nürnberg (VGN) wünscht er sich dreierlei:

Ein voll ausgebautes S-Bahnnetz mit dichtem Takt und ausreichenden Park + Ride-Plätzen entlang der Strecken;
Express-Buslinien auf dem Land, wo ein Bahnanschluss fehlt, nach dem Motto: ohne viele Zwischenstopps rasch in die großen Städte;
Zubringer-Busse kleineren Ausmaßes oder Taxen, die zwischen den Gemeinden und Ortsteilen die stark frequentierten Schienen-Haupthaltepunkte ansteuern, und zwar autonom, also ohne Fahrer — und bestellbar ganz digital per App, die auch gleich Rechnung und Bankeinzug erledigt.

Solche selbstfahrenden Kleinbusse für sechs bis acht Passagiere verfügen über umfangreiche Sensorik, die Hindernisse erkennt, und verkehren auf fest eingespeicherten Strecken. Hintergrund: Der Markt für Busfahrer, auf dem sich auch Speditionen bedienen, ist wie leer gefegt; und allein das Personal macht im Nahverkehr 60 Prozent der Kosten aus.

Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat an die neue Große Koalition in Berlin appelliert, den ländlichen Raum in die Lage zu versetzen, dass er in die Zukunft der Mobilität, der Bildung, der Wirtschaft und der Digitalisierung maßgeblich und eigenverantwortlich investieren kann. DLT-Präsident Reinhard Sager begrüßt das Einsetzen einer Kommission namens "Gleichwertige Lebensverhältnisse" zur Bekämpfung von Strukturschwächen sowie ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz für Verkehr, Infrastruktur und Wohnen.

Passagierzahlen steigen kontinuierlich

Bisher orientieren sich die Busverkehre in vielen Landkreisen ausschließlich am Schülerverkehr, klappern alle Ortschaften ab und leiden so unter langen Fahrzeiten. Das System trägt sich, weil der Freistaat die Kosten der Schülerbeförderung zahlt. Doch VGN-Chef Mäder sieht diesen Regionalbusverkehr gefährdet, denn immer mehr junge Leute und Familien ziehen weg, für weniger Kinder wird dann nur noch eine Notversorgung aufrechterhalten werden.

Anders sieht es in finanzstarken Landkreisen wie Fürth oder Erlangen-Höchstadt aus, wo in schnelle Busverbindungen investiert wird, die auch Pendler anlocken, Fahrten zur Nahversorgung attraktiv machen und auf breiten Achsen zu Schienenhaltepunkten führen. Für derartige freiwillige Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr lässt der Freistaat Bayern je 60 Prozent ÖPNV-Zuwendungen fließen.

In finanzschwächeren Kreisen wie Ansbach pflanzt die Schiene rasche Erfolge fort: Seit die S-Bahn-Verlängerung nach Dombühl und Leutershausen-Wiedersbach mit einem Busangebot bis Dinkelsbühl und Rothenburg verknüpft ist, steigen die Passagierzahlen laut VGN kontinuierlich.

Die Verknüpfung von attraktiver, umweltfreundlicher Mobilität mit umfassender digitaler Datennutzung wird gerade in der Modellregion Hochfranken um Wunsiedel und Hof entwickelt. Das Projekt heißt Mobilität digital Hochfranken (MobiDig) und wird von der Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS in Nürnberg begleitet. Das Ziel: Bei einem Testbetrieb an ausgewählten Strecken wird bedarfsgesteuerter autonomer Linienverkehr untersucht.

Doch für VGN-Chef Andreas Mäder ist klar: In absolut strukturschwachen Räumen der langen Wege wird man auch künftig am Pkw nicht vorbeikommen. Ein adäquates ÖPNV-Angebot wäre dort viel zu teuer.

 

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