Nach 37 Jahren Partnerschaft kommt das Sahnehäubchen

6.10.2017, 15:31 Uhr
Nach 37 Jahren Partnerschaft kommt das Sahnehäubchen

© Foto: André Ammer

Den Hinweis, dass auch seine nackten Füße auf dem Bild zu sehen sind, nimmt Reiner Sikora gelassen. Für den Fototermin extra Strümpfe und Schuhe anzuziehen, das ist dem ehemaligen Kulturmanager dann doch zu bürgerlich. Auch einen Ring wird der 61-Jährige nicht tragen, wenn er und sein langjähriger Partner sich am kommenden Freitag das Jawort geben. "Für meinen Alltag viel zu unpraktisch", meint Sikora. Lothar Schlosser hingegen hat sich einen Trauring anfertigen lassen, auf der Innenseite ist das Datum ihres Kennenlernens eingraviert.

Vor 37 Jahren waren sich die beiden in einer Nürnberger Kneipe über den Weg gelaufen. "Er hat mir einen Drink ausgegeben, aber das hat mich zunächst überhaupt nicht interessiert", erinnert sich Schlosser schmunzelnd. Nachdem er jedoch die angeregte Tresendebatte mit einem anderen Gast beendet hatte, ging er zu Reiner Sikora, um sich zu bedanken. Eine Woche später zog er in dessen Wohngemeinschaft ein.

Das Outing war kompliziert

Schnell war klar, dass dies eine dauerhafte Beziehung werden wird, und so ging das frisch verliebte Paar bald auf die Suche nach einem gemeinsamen Nest. Sikoras Mutter half bei der Suche und bürgte auch für ihren Sohn, als die beiden ihr Traumdomizil fanden. Sie sei völlig unverkrampft mit seiner Homosexualität umgegangen, erinnert sich der heute 61-Jährige. "Ich mache alles mit, aber ich muss nicht alles wissen", sei ihre Devise gewesen.

Lothar Schlosser hingegen hatte nach seinem Outing zunächst große familiäre Probleme. Nachdem er zur Ausbildung weggezogen war, offenbarte der aus einem kleinen Vorort von Marburg stammende Einzelhandelskaufmann seinen Eltern in einem Brief seine sexuelle Orientierung. "Das haben sie noch einigermaßen verkraftet, obwohl meine Mutter streng evangelisch und Mitglied im Kirchenvorstand war", erzählt der mittlerweile 62-Jährige.

"Sie sind sogar gemeinsam in den Urlaub gefahren"

Kurz danach wirkte Schlosser allerdings in einer Fernsehdokumentation über junge Schwule in Deutschland mit, "und daraufhin war erst einmal Eiszeit". Nun wussten es auch die Nachbarn, und seine Eltern kündigten an, ihn zu enterben. Nach einem halben Jahr Funkstille doch wieder eine Annäherung. Schlossers Familie lernte den Partner ihres Sohnes kennen, mit der Zeit entwickelte sich eine herzliche Verbindung. Auch zwischen den Eltern des gleichgeschlechtlichen Paares. "Sie sind sogar gemeinsam in den Urlaub gefahren", berichtet Sikora.

Das berufliche Umfeld reagierte ebenfalls tolerant auf die Beziehung. "Da gab es nie ein böses Wort", beteuert Lothar Schlosser, der seinen zuletzt als Geschäftsführer der Meistersingerhalle tätigen Lebensgefährten auch regelmäßig bei offiziellen Terminen begleitete. Schlosser wiederum arbeitete lange Jahre für das Versandhaus Quelle, doch inzwischen genießt das Paar seinen Ruhestand und pflegt seine vielfältigen Interessen.

Als CSU-Politiker Stimmung machten

Unter anderem haben Sikora und Schlosser in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Fernreisen unternommen. In der Diele ihrer lichtdurchfluteten Altbauwohnung hängen neben Bildern ihrer Patenkinder Dutzende von Erinnerungsfotos und eine Weltkarte, die sie sich von einem Internet-Service haben anfertigen lassen. Sämtliche Reiseziele und Flugrouten sind dort dokumentiert, mittlerweile haben die beiden jeweils über eine Million Flugkilometer absolviert.

Darüber hinaus engagiert sich das Paar in verschiedenen sozialen Projekten. Lothar Schlosser zum Beispiel betreut einen dementen Aids-Kranken in einem Pflegeheim, und beide arbeiten in der Flüchtlingshilfe mit, kümmern sich unter anderem um einen traumatisierten Homosexuellen aus dem Iran, dem in seinem Heimatland der Tod durch Erhängen drohte. Auch die Familie hatte den jungen Mann verstoßen. "Sein Vater hatte zu ihm gesagt: ,Wenn dich der Staat nicht aufknüpft, dann tue ich es‘", erzählt Reiner Sikora.

Solche Schicksale erinnern das Paar an die 1980er Jahre, als CSU-Politiker aus Angst vor der neuen Krankheit Aids Stimmung gegen Homosexuelle machten und der damalige Innenstaatssekretär Peter Gauweiler einen beispiellosen Maßnahmenkatalog gegen die Ausbreitung des HIV-Virus durchsetzte. Zwangstests für Prostituierte und Drogenabhängige, Razzien in Saunaklubs und strenge Auflagen für Einrichtungen sorgen dafür, dass Betroffene Schwulenhatz und Denunziantentum fürchteten.

"In Bayern hatten wir es schon immer schwerer"

"Das waren schlimme Jahre", sagt Reiner Sikora und erinnert sich unter anderem an einen jungen aufstrebenden Abgeordneten namens Horst Seehofer, der Homosexuelle in speziellen Heimen "konzentrieren" wollte. Der einstige CSU-Kultusminister Hans Zehetmair wiederum meinte zu jener Zeit, dass gleichgeschlechtliche Sexualität in den "Randbereich der Entartung" gehöre. Heute werden die Urheber ungern an ihre damaligen Formulierungen erinnert.

Gleichwohl tun sich manche Christsoziale nach wie vor schwer, viele Reformen im Ehe- und Familienrecht zu akzeptieren. Justizminister Winfried Bausback betont nach wie vor, dass für die Bayerische Staatsregierung die Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau sei. Deshalb behält er sich vor, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

"In Bayern hatten wir es schon immer schwerer als in anderen Bundesländern", kommentiert Reiner Sikora solche politischen Manöver und erinnert sich an das umständliche Prozedere, als sich er und sein Partner im Januar 2002 ("Sobald es möglich war. Wir waren schon damals Pioniere") eine Lebenspartnerschaft eintragen ließen. Im Gegensatz zum Rest der Republik mussten sie dafür nämlich zum Notar – "ein erzkonservativer CSUler, der ganz aufgeregt war", erinnert sich Lothar Schlosser lachend. "Aber er hat das ganz super gemacht", ergänzt sein Partner, "sogar Blümchen hatte er besorgt und eine Flasche Sekt kaltgestellt."

Flitterwochen zu bürgerlich

Diese eingetragene Lebenspartnerschaft war für die beiden der entscheidende Schritt, "die Ehe ist nur noch das Sahnehäubchen", meint Schlosser. Auch deshalb, weil in den vergangenen Jahren die Unterschiede zur Ehe, etwa im Miet-, Erb- und Steuerrecht, nach und nach beseitigt wurden. In den meisten Fällen geschah dies allerdings erst auf Geheiß des Bundesverfassungsgerichts.

Sechs Umwandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare in tatsächliche Ehen stehen am kommenden Freitag auf dem Plan des Nürnberger Standesamtes, die Trauung von Reiner Sikora und Lothar Schlosser wird vom Zweiten Bürgermeister Christian Vogel durchgeführt, der damit auch seine Unterstützung für die örtliche Community demonstrieren will. Außerdem plant der Verein Fliederlich eine Aktion für diesen Stichtag.

Nach der Zeremonie wird das frisch getraute Paar mit einigen Freunden zum Essen gehen, und in einigen Wochen hebt der Flieger Richtung Australien ab, wo Sikora und Schlosser eine mehrwöchige Wohnmobil-Tour quer über den Kontinent unternehmen werden. Das Wort Flitterwochen wollen sie in diesem Zusammenhang nicht hören, solche Begrifflichkeiten sind ihnen dann doch zu bürgerlich.

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