Neue belastende Indizien im "Reichsbürger"-Prozess

19.9.2017, 20:32 Uhr
Neue belastende Indizien im

© Foto: Detlef Gsänger

"Hiermit erkläre ich, der lebendige beseelte und selbstbewußte Mann aus Fleisch und Blut (...), dass ich (...) tatsächlich auf diesem Planeten, genannt Erde, körperlich seelisch und geistig voll anwesend bin." Zwölf Zeugen unterschrieben das handschriftlich verfasste Dokument des Wolfgang P., setzten ihren Fingerabdruck in roter Farbe dazu – "Lebendmeldung" nennt sich so etwas im Szenejargon.

P. veröffentlichte das Papier im April 2016 auf seiner Facebook-Seite – und nun sitzt einer seiner Freunde, die jenen Zettel unterschrieben haben, als Zeuge vor dem Schwurgericht. Er kenne Wolfgang P. aus Kindertagen, schildert der Zeuge. Er ist, wie Wolfgang P., 50 Jahre alt. "Ich sehe ihn als zuverlässig an", charakterisiert er den Angeklagten, dem der Prozess wegen Mordes, dreifachem versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung gemacht wird.

Der Zeuge gibt sich einsilbig. Warum er aussagen muss, sieht er nicht ein, war er doch bereits zur Vernehmung bei der Polizei – selbst als die Richter erklären, dass sie zur Wahrheitsfindung auf Zeugen angewiesen sind, bei der Razzia am Morgen des 19. Oktober 2016 selbst nicht dabei waren und nun mal in die Köpfe anderer Menschen nicht hineinsehen können, bleibt er pampig.

Dabei steht für Wolfgang P. viel auf dem Spiel: Seine Verteidiger sehen höchstens eine fahrlässige Tötung – meinen, P. sei von der Razzia im Schlaf überrascht worden und habe sie als Polizeieinsatz nicht einmal erkannt. Der Staatsanwalt schildert ihn dagegen als Mörder, der in der Wohnung auf der Lauer lag – in Schutzweste und bewaffnet mit einer Pistole, um bei der Razzia möglichst viele Polizisten zu töten. Unterschiedlicher könnten die Einschätzungen nicht sein, und dem Urteil darf nur zugrunde gelegt werden, was in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wird – als Beweismittel sind Zeugen unerlässlich.

Doch der Zeuge will nichts wissen. Weder irritierte ihn, dass Wolfgang P. um sein Haus, in dem er in Georgensgmünd im Landkreis Roth wohnte, auf Waschbetonplatten eine gelbe Linie gemalt hatte, um sein Revier abzustecken, noch will er sich an das Schild an P.s Briefkasten "Hier gilt mein Gesetz" erinnern. Wenn er zu Besuch kam, war er ja eingeladen, lautet sein lapidarer Kommentar, der dafür sorgt, dass Staatsanwalt Matthias Held der Kragen platzt: "Hier sitzen zwei Menschen, die wissen wollen, warum ihr Sohn gestorben ist", verweist er auf die Nebenkläger – die Eltern des getöteten Polizisten.

Schießerei auch in Sachsen

Obwohl sich die Zeugen wortkarg geben, lasten die Indizien immer schwerer auf P., der 30 Kurz- und Langwaffen besaß: Als er sich gegen eine Überprüfung seiner Waffenbesitzkarte sperrte, galt er als unzuverlässig. Der Aufforderung des Landratsamtes, die Waffen abzugeben, folgte er nicht. Spätestens als ihn eine Behördenmitarbeiterin besuchte, so ein Zeuge, der im Erdgeschoss des Hauses in Georgensgmünd lebte, ging P. davon aus, dass ihm die Waffen abgenommen werden. P. hätte sie freiwillig rausgerückt, behauptet er. Doch ein anderer Zeuge, ein früherer Schüler in P.s Kampfsportschule, berichtet, dass P. ihn damals bat, einige seiner Waffen bei ihm lagern zu können.

Dazu kommt eine auffällige Verbindung nach Sachsen-Anhalt: Im August 2016 sollte dort das Haus von Adrian Ursache (Mister Germany von 1998) zwangsgeräumt werden – weil er sich eine Schießerei mit Polizisten lieferte, steht er ab Oktober wegen Mordversuchs vor dem Landgericht Halle. Ursache hatte auf seinem Grundstück seinen eigenen Staat ausgerufen, erkennt die BRD als Staat nicht an, geltende Gesetze lehnt er ab.

Bei jener Zwangsräumung war P. in Sachsen-Anhalt, er hatte Ursache besucht. Auch ihre Facebook-Freundschaft bestätigt die Verbindung. Der Prozess geht morgen weiter.