Alte Schachtel aus Amerika

1.4.2015, 06:30 Uhr
Alte Schachtel aus Amerika

© Foto: privat

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Alte Schachtel aus Amerika

© F.: Bösl

„Total perplex“ sei sie gewesen, erzählt Doris Kapfelsberger, als im vergangenen Oktober eine Frau mit dem runden Schächtelchen in den Laden kam und mit einem unüberhörbaren US-amerikanischen Akzent nach der Familie Mühlbauer fragte. „Sie kam im Auftrag ihrer Großmutter, einer Neumarkterin, die bereits in jungen Jahren in die USA ausgewandert war.“

Die noch lebende Oma hatte ihrer Enkelin gebeten, beim Besuch in Neumarkt bei den Mühlbauers vorbeizuschauen und ihnen das Andenken aus Kindheitstagen zu schenken. „In der ganzen Hektik hab ich vergessen, nach dem Namen zu fragen.“

Der Inhalt der Schmuckschachtel mit Rosenmotiv schlug die Goldschmiedin, die das Geschäft gemeinsam mit ihrem Mann in dritter Generation führt, sofort in ihren Bann. Kein Ring darin, keine Uhr, kein Amulett faszinierte sie – sondern einfach nur der Aufkleber auf der Innenseite des Deckels. Darauf steht: „Karl Mühlbauer – Uhren & Goldwaren – Neumarkt i. Obpf. – Rathausladen 4“.

Aus „goldenen“ Zwanzigern

Weil Doris Kapfelsberger sich in den vergangenen Monaten eingehend mit der Historie ihres Geschäfts befasst hatte, wusste sie sofort, dass die Schachtel aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammen muss. Und dass diese der Unternehmensgründer Karl Mühlbauer oder seine Frau Elisabeth, die Großeltern von Rainer Kapfelsberger, einst in den Händen gehalten hatte.

Die Ahnen sind im Verkaufsraum von „Uhren Mühlbauer“ immer präsent: Ein goldgerahmtes Foto des Gründerpaares hängt neben der Ladentheke hoch oben an der Wand, als wache der Seniorchef auch noch im Jenseits über sein Geschäft.

Karl Mühlbauer kam 1897 in Trautmannshofen zur Welt. Von 1911 bis 1914 ging er bei einem Tirschreuther Uhrmacher in die Lehre. Dann kam ihm der Erste Weltkrieg dazwischen, seine Prüfung konnte er erst im März 1920 ablegen. Das alles liest Doris Kapfelsberger aus dem noch erhaltenen Lehrbrief heraus. Noch 1920 eröffnete der junge Uhrmacher sein Geschäft in Neumarkt.

Und das in einer zentralen Lage, das es zentraler gar nicht mehr geht: in einem der Läden in den Arkaden des Rathauses, dort wo heute das Tourismusbüro untergebracht ist. Von dieser pittoresken Ladenzeile existieren nur noch wenige alte Fotos. Eines zeigt die Mühlbauers, die von Beginn auch Schmuck verkauften und auch häufig „über Land fuhren“, neben ihrem gut bestückten Schaufenster.

Doch schon 1929 zog Uhren Mühlbauer wieder aus. „Der Laden mit seiner Werkstatt war im Rathaus einfach nicht mehr tragbar“, sagt Doris Kapfelsberger, „er machte zu viel Staub und dort gab es keine Lüftung.“ Karl Mühlbauer kaufte das Haus in der Klostergasse 23 (wo heute Backwaren „feihlgeboten“ werden) und richtete sich dort ein.

Umzug in die Klostergasse

Auch aus dieser Zeit besitzen die Nachfahren noch eine Schmuckschachtel. Auf dem braunen Etui steht allerdings „Schemmstraße 23“. Denn zur Zeit des Dritten Reichs wurde die Klostergasse dem NSDAP-Gauleiter und Kultusministerium, Hans Schemm, gewidmet, der 1935 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Das Gebäude wurde in Folge der Luftangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört, später eröffnete ein Cousin hier ein Friseurgeschäft. Auch das heutige Geschäftshaus am Oberen Markt, das Karl nach dem Krieg von seinem Bruder übernahm, musste er erst wieder aufbauen.

Karl selbst hatte den Kriegsdienst unbeschadet überstanden. Über einen Kriegskameraden aus der „Goldstadt“ Pforzheim kam er nach 1945 schneller an neue Ware als die Konkurrenz. Gezahlt wurde anfangs noch in Naturalien. „Er ist damals mit einem Auto voller Schinken und Bratwürsten nach Pforzheim gefahren.“

Nach der Wiedereröffnung anno 1949 am Oberen Markt 16 lebte Karl Mühlbauer, in und um Neumarkt bekannt „wie ein bunter Hund“, noch 25 Jahre. Anfang der 70er Jahre übergab er das Geschäft an seine
Tochter Erika Kapfelsberger. Aus dieser Zeit stammt die älteste Uhr im aktuellen Verkaufssortiment: eine hauchzarte Damenuhr der Firma Koha.

Was können Kunden erzählen?

Das modische Accessoire aus dem Jahre 1973 wird in einer Ausstellung in der „Nacht der Sinne“ im Mai genauso einen Platz finden wie alte Handwerksgeräte, darunter eine Goldschmiedewaage. Weitere Aktionen anlässlich des 95-jährigen Bestehens sind geplant, zum Beispiel ein Jubiläumswochenende Mitte Juni und eine Verlosung auf Facebook.

Darüber hinaus möchte Doris Kapfelsberger ab April weitere Histörchen und Anekdoten rund um Uhren Mühlbauer sammeln; sie bittet die Neumarkter darum, die beste Geschichte wird sogar prämiert. „Und auch über jede weitere ,alte Schachtel‘ würde ich mich freuen.“

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