Architektur schafft Heimat

27.3.2010, 00:00 Uhr
Architektur schafft Heimat

© Petra Schlierf

Der Augsburger Architekt hatte den 56. Vortrag der Reihe Architektur und Baukultur unter einen Titel gestellt, den der Volksmund eher mit dem Gegenteil verbindet. Johannes Berschneider hatte zu diesem Werkbericht ins Maybach-Museum geladen.

Einen Hintergrund für seine Wortwahl liefert Wolfgang Ott selbst. Der 48-Jährige ist gebürtiger Augsburger, hat in seiner Heimat sein erstes Studium absolviert und ist nach Lehr- und Wanderjahren in Stuttgart und Neckartenzlingen wieder in den Schoß der Fuggerstadt zurückgekehrt. Seit 1997 betreibt er dort mit Gattin Ulrike Seeger sein eigenes Büro und nimmt den Begriff Heimat auch für das berufliche Wirken ernst.

»Heimat birgt immer etwas Verklärendes, aber auch etwas sehr Substanzielles in sich», philosophiert der Architekt. Die Verklärung resultiert aus der Wurzel des Begriffes, der seine Bedeutung in den Anfängen der Industrialisierung erlangt hat, als sich viele ihrer Ursprünge entwurzelten Menschen nach der überschaubaren Vergangenheit zurücksehnten. Und substanziell ist Heimat schon allein deshalb, »weil die Ergründung des genius loci, also der spezifischen regionalen Gegebenheiten und Gewohnheiten viel Arbeit und Einfühlungsvermögen erfordert», so der Architekt.

Das Daheim für das Gebäude ist also die Region, in der es steht, und das Daheim für die Menschen ist das Gebäude. So liegt es nahe, dass Wolfgang Ott die Gestaltung seiner Gebäude sehr differenziert betrachtet und sich dabei regelmäßig eine Frage von Karl Ganser stellt, dem großen Städteplaner und Schöpfer des Emscher Parks: Wer kümmert sich eigentlich um das Schöne? Wolfgang Ott. Beispielsweise beim Peutinger Gymnasium in Augsburg. Das stark sanierungsbedürftige Schulgebäude sollte mit überschaubarem Budget für die Ganztagesbetreuung fit gemacht werden. Wolfgang Ott stellte ein schlichtes, rechteckiges Gebäude in den Innenhof, ließ über eine Glasfront viel Licht ins Innere und machte es mit frischen Farben lebendig. Auch die Dachfläche dient zum Luft- und Lichttanken.

Die Heimat der »Schlümpfe»

Ganz anders dagegen die Augsburger Dependance der Waldorfschule. Rechte Winkel und Symmetrien haben hier Seltenheitswert, die Dächer der drei ineinanderfließenden Gebäudetrakte für Unterricht, Bewegung und Betreuung muten an wie eine riesige Freiformfläche. Mit den leuchtend rot eingefärbten Sichtbetonwänden machen sie das Anwesen zu einer großen Raumskulptur und brachten ihm den liebevollen Beinamen »Schlumpfhausen» ein. Damit seine Bewohner die naturnahen Grundsätze der Waldorfschule auch am Gebäude wiederfinden, haben die Architekten Wandreliefs mit Ahornblättern geschaffen: »Wir haben einen Baum quasi geerntet, die frischen Blätter in ein Fass gefüllt und in unserem Kühlschrank konserviert», so Ott.

Einen Raum im Raum hat der Augsburger für die gleichnamige Aktienbank gebaut. In einem lang gestrecktem Raum zentrieren sich Kundenbereich und Büroelemente wie ein Schneckenhaus und vermitteln dadurch Überschaubarkeit. Ein eigens entworfener Stuhl, der heute als Serienprodukt erhältlich ist, nimmt die Formensprache auf, der Tageszeit entsprechende Lichteffekte betonen sie.

Als wichtiges Standbein seines Büros nennt Ott den Bereich Industriebau. Für das im benachbarten Jettingen beheimatete IT-Systemhaus Cancom entwarf er einen neuen Hauptsitz auf der grünen Wiese: Fertigungshallen und Logistikzentrum als typische, funktionsbestimmte Flächenbauten. Neu geordnet hat Ott Produktion und Verwaltung des Sonnenschutzspezialisten Roma. Zerklüftet angeordnete Fertigungshallen wurden begradigt und um einen bogenförmigen Vorbau als Verwaltungstrakt ergänzt. Über Böden und Decken werden die Räume klimatisiert. »Der Inhaber legt sein Geld dort an, wo er lebt und schafft für seine Mitarbeiter und Kunden einen Mehrwert», zollt er Respekt.

Dass Heimat aber auch überall auf der Welt stattfindet, unterstreicht das Nepal-Projekt des Büros. »Nachdem ich im nepalesischem Bergland einen Blinddarmdurchbruch überlebt habe, bin ich von dem Gedanken beseelt, diesem Land etwas zurückzugeben», beginnt Wolfgang Ott die Geschichte. Zu seiner Nepal-Initiative zählt der Bau und Ausbau einer Internatsschule für tibetanische Flüchtlingskinder mit autarker Energieversorgung via Solartechnologie. Baubedingungen und Lebensstandard folgen hier ganz eigenen Gesetzen: Die Schule liegt 3500 Meter über dem Meeresspiegel, Infrastruktur ist nicht vorhanden, das Material muss in siebentägigen Fußmärschen herangebracht werden. Heimat bedeutet eben auch manchmal Opfer bringen.

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