Bonobos wohnen unter einem grünen Hügel

29.3.2014, 10:00 Uhr
Bonobos wohnen unter einem grünen Hügel

© Martin Herbaty

Für den Kreisverband Niederbayern-Oberpfalz des Bundes Deutscher Architekten konnte Johannes Berschneider neben Fachbesuchern auch wieder viele interessierte Bürger zum mittlerweile 79. Vortrag der Veranstaltungsserie begrüßen. Mit Sebastian Jehle hatte er einen vielfach ausgezeichneten Architekten nach Neumarkt geholt: Gerade erst hat das Stuttgarter Architekturbüro Hascher Jehle, das er 1992 mit Rainer Hascher gegründet hatte, den Balthasar-Neumann-Preis für das Neue Gymnasium Bochum erhalten. Jehle lehrt aktuell an der TU Berlin. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der 2010 ins Leben gerufenen Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB).

 

Eine deutliche Sprache

 

Eine Besonderheit von Hascher Jehle ist, dass das Büro Aufträge ausschließlich über Wettbewerbe holt – hier sprechen 113 Preise und 28 realisierte Vorhaben eine deutliche Sprache. Diese Strategie bedeutet eine große Bandbreite bei den umgesetzten Projekten sowie eine Fülle unkonventioneller Lösungen – etwa aktuell beim Montforthaus, der neuen Stadthalle, die im österreichischen Feldkirch auf engsten Platzverhältnissen in der Altstadt entsteht.

Als erstes Beispiel präsentierte Jehle die von 2011 bis 2013 durchgeführte Erweiterung der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg. Hier galt es, den denkmalgeschützten Originalbau von Sep Ruf aus den 50er Jahren angemessen zu ergänzen. Dafür wurden die filigranen Strukturen des Altbaus auf den Neubau übertragen, jedoch an neue Bedingungen wie Energiespar-Anforderungen angepasst. Zwischen Alt- und Neubau entstand ein Campus als „grüne Mitte“ der Akademie. Neu hinzu kam ein Malsaal mit viel Tageslicht, der selbst als Skulptur im Umfeld wirkt.

Eine besondere Herausforderung war das 2013 eröffnete Menschenaffenhaus für die Wilhelma, den Stuttgarter Zoo. Das auf 10 000 Quadratmetern im historischen Rosensteinpark errichtete Gebäude sollte eine artgerechte Haltung von Gorillas und Bonobos ermöglichen, Menschen und Affen möglichst nahe zusammenbringen und über zwei Millionen Besucher im Jahr stressfrei bewältigen. Das Resultat bezeichnete Jehle als „untypisch für Architekten“: „Wir sind sehr zufrieden, dass man vom Gebäude so gut wie nichts sieht.“ Das Affenhaus schmiegt sich S-förmig ins Gelände und wirkt wie ein Hügel. Gewachsener Baumbestand wurde als Kletterwald in das Freigelände für die Bonobos integriert. Im Inneren sorgen großzügige Verglasungen nicht nur für viel Licht, sondern erlauben auch die nahe Begegnung von Mensch und Affe auf Augenhöhe.

 

Einzigartige Lösungen

 

Die Anforderungen an Tiergehege mündeten in einer Fülle aufwendiger, teils einzigartiger Lösungen, von den Wassergräben über die Tragwerkskonstruktion des Netzes über dem Freigelände bis zur Eingrünung der Käfige. Dabei beklagte Jehle die große Diskrepanz zwischen den Forderungen der Bauherren und den vorhandenen Mitteln. Nicht nur wegen der langen Projektlaufzeit, Start 2004, Baubeginn 2009, auch wegen immer neuer Zusatzforderungen wurde das Budget massiv überschritten. Die Folge waren lange Verzögerungen und ein allein eineinhalbjähriger Streit um das Budget. „So schnell werden wir keinen Zoo mehr bauen“, so Jehles Fazit.

Ganz anders waren dagegen die Erfahrungen beim Gymnasiums-Neubau in Bochum. Der Entwurf setzt sich mit dem Geist seines Standortes, dem geologischen Garten, auseinander und symbolisiert mit einem Grundriss als liegende Acht das Zusammenwachsen der beiden hier vereinten Gymnasien. Der dreigeschossige Bau setzt auf eine klare Formensprache und eine Fülle innovativer Lösungen. So überspannt ein transparentes Dach einen der beiden 41 Meter durchmessenden Innenhöfe. Dabei kamen Folienkissen wie bei der Allianz Arena zum Einsatz, die das Gewichts gegenüber einem Glasdach um 80 Prozent reduzierten.

Die Fassade nach Passivhausstandard trägt dazu bei, dass der Neubau die EnEV-Anforderungen um 25 Prozent unterschreitet und trug zur Klassifikation als Green Building bei. Der Künstler Ulrich Erben gestaltete die Gussgläser der Verkleidung, so dass sich aus dem Mosaik der erste Satz der UN-Deklaration der Menschenrechte in drei Sprachen ergibt. Jehle betonte, dass sich der hohe Standard nur realisieren ließ, weil Verantwortliche auf Bauherrenseite nachhaltige und richtige Entscheidungen getroffen hatten, statt sich – wie heute häufig – aus Angst vor Rechtsfolgen zu drücken. „Wir brauchen kompetente, verantwortungsbewusste Ansprechpartner für eine gute Baukultur.“

Ein besonderes Projekt war das 2005 eröffnete Kunstmuseum Stuttgart, das nicht nur auf einem extrem schwierigen Standort über einem Verkehrsknoten entstand, sondern die früheren Autotunnels zu Ausstellungsräumen um nutzte. So wurde aus einem Sündenfall der autogerechten Stadt ein Schmuckstück am Stuttgarter Schlossplatz.

Zugleich war das Projekt für Jehle ein Musterbeispiel des „Wettbewerbsunwesens“ – 340 Architekten hatten sich unter enormen Kosten um den Entwurf beworben. Zugleich entscheidet längst das billigste Angebot bei der Auftragsvergabe. Hier forderte Jehle mehr Nachhaltigkeit: „Die Menschen halten sich heute bis zu 90 Prozent ihrer Zeit in Gebäuden auf. Aber es ist ihnen vielfach egal, wie dieser Lebensraum gestaltet wird.“ Eine der Ursachen des Problems sah er darin, dass an den Spitzen der Baubehörden heute keine Architekten mehr stehen, sondern nur noch Juristen und Manager.

 

Wettbewerb auch positiv

 

Wettbewerbe betrachtete er nicht nur negativ, tragen sie doch als Qualitätswettbewerb dazu bei, die Baukultur zu sichern. Jedoch werde die Bereitschaft, sich dem mörderischen Wettbewerb zu stellen, nicht genug honoriert. Zudem hat der Architektennachwuchs wegen hoher Anforderungen und fehlender Referenzen immer weniger Chancen. Und das Ergebnis ist nicht immer eindeutig: „Es gibt nicht die eine richtige Lösung, oft entscheidet die Kunst der Argumentation“, so Sebastian Jehles Fazit.

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