Die Sehnsucht nach dem Süden

29.5.2012, 00:00 Uhr
Die Sehnsucht nach dem Süden

© Wolfgang Fellner

Die Sehnsucht nach dem Süden hat schon Johann Wolfgang von Goethe umgetrieben; spätestens seit seiner italienischen Reise wissen wir, wie der Großdichter der Deutschen das Italien seiner Träume erlebte, als er es seinerzeit bereiste: „Ich in Arcadien“.

Der Hang und Drang zum Süden verbindet auch Schmidbauer, Kälberer und Pollina. Wobei der Süden heute kein Arcadien mehr ist. Vor allem Schmidbauer lebt für den Süden, den in Deutschland mit den Alpen – und den Süden Europas, eben Italien.

Faszinosum und Schrecken gemeinsam haben er und Pippo Pollina mit Martin Kälberer nun in „Süden“ niedergeschrieben, über die Verlockungen und Chancen des Südens, aber auch über die Herausforderungen, denen sich der Norden der Welt ausgesetzt sehen wird, ausgesetzt ist. Da gibt es den südlichen Menschen, den Schmidbauer ob seiner Leichtigkeit, seiner Daseinsbejahung so bewundert, und den nördlichen Menschen. „Der nördliche Mensch ist einer, der steht beim Bäcker an und weiß da schon, dass die Semmeln hart sind“, sagte er, und, unter großem Gelächter, „der wacht um 5 Uhr auf und weiß, der Tag ist gelaufen“. Bleibt zu hoffen, dass das Publikum, das das Trio so begeistert feiert, davon viel in den Lebensalltag mit herüber rettet.

Süden: Das ist zunächst einmal eine Himmelsrichtung. Bei Schmidbauer, Pollina und Kälberer wird daraus eine Lebensauffassung – eine Lebenseinstellung. In bester Singer/Songwritermanier haben sie ihren Süden gestaltet, es gibt Balladen, traurig, es gibt Aufrufe, energisch, Appelle, fordernd, und Standpunkte, spielerisch, temporeich: Einfallsreich, hintersinnig, wehmütig, manchmal auch etwas zu gefühlig, wird eine Kulisse aufgebaut, in der sich alles widerspiegelt, das Schöne und das Schlechte, das Gefühlige und das Grausame.

Große Odyssee

Das Band für alles ist eine große Odyssee, eine Geschichte, die Schmidbauer und Pollina erzählen, manchmal vielleicht eine Spur zu ausführlich, aber sie nehmen ihr Publikum an der Hand, führen es nach Sizilien, zu Mafia-Morden, nach Lampedusa, den Menschen aus dem Süden, die im Norden ihre Zukunft und ein Überleben suchen, zu Bruno Manser, der den Regenwald retten wollte und in ihm verschwand. Mord. Das ist hochpolitisch, nicht unbedingt das, was von einem Momentensammler erwartet wird; aber das ist hoch spannend, denn natürlich wissen Schmidbauer, Pollina und Kälberer, dass das nicht alles unbedingt gesellschaftskompatibel ist.

Umso erstaunlicher, wie sie immer wieder entspannen, Spannung aufbauen, mit Soli den Weg ändern, wie Schmidbauer von den Bergen erzählt, Pollina aus seiner Heimat im Süden, und Kälberer, der begnadete Multi-Instrumentalist, seine Schatzkiste öffnet und mit Kachon und Hang, Chicken-Shake und Snare einen fantastischen, wallenden, ausufernden Klangteppich webt, auf dem seine beiden Begleiter ihre Volten schlagen, ihre Kreise ziehen, sich erst wirklich ausleben können.

Weltmusik nennt sich das und dürfen Schmidbauer, Pollina und Kälberer das nennen, mit dem sie ihr Publikum begeistern. Ein reifes Album in bester Tradition, das nachdenklich zurücklassen sollte, nachdenklich darüber, wie wir unsere Zukunft gestalten werden.

„Die große Kunst“ heißt das Lied, zu dem Schmidbauer sagt, „wenn die Leute aus dem Süden kommen, wird sich zeigen, ob der Humanismus, den wir predigen, auch ein Fünferl wert ist“. So viel Nachdenkliches macht den Abend schwer, das wissen auch die drei auf der Bühne und deshalb gibt es zum Abschluss noch zahlreiche fetzige Zugaben, unter anderem „bella ciao“, ein italienisches Partisanenlied aus dem Zweiten Weltkrieg. Das reißt nach oben, nach vorne, das reißt in den Süden. Und der Reitstadel marschiert begeistert mit. Grandios.

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