Für schöne Architektur und gegen sklavische Regeltreue

22.2.2013, 12:23 Uhr
Für schöne Architektur und gegen sklavische Regeltreue

© mmh

Titelgebend waren dabei die Bauwerke, die er in seinem Werkbericht ausführlicher vorstellte: Die gefeierte Erweiterung des Frankfurter Städel-Museums, ein Teilchenbeschleuniger bei Darmstadt und die Autobahnkirche Siegerland, die im Mai fertiggestellt wird.

Zunächst erläuterte Schumacher jedoch mit Beispielen aus dem Fundus eigener Projekte die Grundprinzipien seines Ansatzes. Ob beim Bauen im Bestand oder bei neuen Entwürfen – Schumacher geht es immer um Authentizität: „Man muss den Spirit eines Gebäudes einfangen.“ Dabei ist es ihm wichtig, Bewährtes zu bewahren, ohne ins Historisieren zu verfallen. Wie gut ihm das gelingt, belegt etwa der Umbau des Frankfurter Amerika-Hauses zum Cervantes-Institut, bei dem ein namhafter Kritiker moderne Ergänzungen als Teil des ursprünglichen Baus ansah.

Ein anderes Beispiel ist die Sanierung des Frankfurter „Silberturms“, der ehemaligen Commerzbank-Zentrale: Von der ursprünglichen Substanz blieben nur Betonkern und die berühmte Alufassade, doch die Architektur der 70er Jahre wurde ins Heute gebracht. Der zweite Impuls ist das Streben nach Innovation und wegweisenden Lösungen. Musterbeispiel dafür war die rote „Info-Box“ auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Not macht erfinderisch: Zeitdruck und knappes Budget führten zu einem unkonventionellen Bauwerk, das statt wie erwartet täglich 300 jeden Tag mehr als 12000 Besucher anlockte.

Die Liebe zum Detail ist der dritte Motivationsimpuls für Schumacher – und sie zeigt sich buchstäblich in jedem Detail des „neuen“ Städel-Museums, von den Handläufen der Haupttreppe bis zur Konstruktion der Oberlichter. Die fünfte Erweiterung des 1878 erbauten, weltberühmten Frankfurter Museums war eine besondere Herausforderung: Um Platz für neue Kunstwerke zu schaffen, sollten 3000 Quadratmeter hinzukommen und damit die Ausstellungsfläche fast verdoppeln, obwohl auf dem Areal nur noch wenig Platz war.

Neben acht international renommierten Architekten beteiligte er sich als einziges Frankfurter Architekturbüro am Wettbewerb – und gewann mit einem radikalen Entwurf, der den Neubau unter die Erde zwischen dem bestehenden Museum und der benachbarten Städel-Schule versenkte.

Der Entwurf sollte Unvereinbares vereinen, „Kellergefühl“ vermeiden und eine raumgreifende Ausstellungsfläche schaffen, die die Kunstwerke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zueinander in Beziehung setzte. Dafür berechnete ein Mathematiker vier Wochen lang die Geometrie der Deckenelemente für eine schattenfreie Ausleuchtung und das Büro entwickelte neuartige Glaselemente.

Eine andere Herausforderung stellte der bei Darmstadt gebaute Teilchenbeschleiniger dar. Hier sollten die Architekten den ein Kilometer langen Beschleunigerring und die Hilfsbauten in die Landschaft integrieren. Um den für solche Anlagen typischen „Industrie-Look“ zu vermeiden, modellierten schneider+schumacher die Strahlungsdiagramme der Anlage in Beton nach. Die Bauten an der Oberfläche sind dabei so vorbereitet, dass sie sehr schnell bemoost werden.

Von den Ionen kam Schumacher zu den Engeln – und mit der Autobahnkirche Siegerland zu einem weiteren ambitionierten Projekt. Sie steht am Rande eines Autohofs. Um sich gegen deren grobschlächtige Zweckarchitektur durchzusetzen, gestaltete er die Kirche extrem reduziert: „Wir bauen nicht die Kirche, sondern das Schild“ – von außen eine weiße Silhoutte, die noch stärker als die Wegweiser an der Ausfahrt auf die Gelegenheit zum Innehalten hinweist.

In der anschließenden Diskussion bekräftigte Schumacher noch einmal, dass der Unterschied zwischen „guter“ und „schlechter“ Architektur für ihn zeitunabhängig ist: „Nachhaltigkeit heißt dauerhaft schön, was wir heute bauen, ist oft nicht dauerhaft“, kritisierte er etwa die aktuelle Passivhausmode. Statt für sklavische Regeltreue plädierte er unter anhaltendem Beifall für einen „poetischen Pragmatismus“ beim Bauen.

Der nächste Vortrag der Reihe findet am 10. April statt.

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