„Einmal um die ganze Welt und wieder zurück“

18.9.2014, 06:00 Uhr
„Einmal um die ganze Welt und wieder zurück“

© Foto: privat

Die Zuckerfee im Nussknacker, die Gouvernante in Leonce und Lena sowie die Prinzessin auf der Erbse sind nur einige Bühnencharaktere, denen die blonde 33-Jährige im Laufe ihrer Jahre Leben eingehaucht hatte. Zuletzt tourte sie mit der in Ballettkreisen hoch renommierten „Les Grands Ballet Canadiens de Montreal“ durch Kanada und die Vereinigten Staaten von Amerika.

„Ich begann als Gruppentänzerin und habe mich binnen fünf Jahren zur Solistin hochgearbeitet“, sagt Aline Schürger und kann ein wenig Stolz nicht verbergen. Denn auf dem Silbertablett sei der gebürtigen Neumarkterin nichts präsentiert worden: „Klar, war auch viel Glück dabei, aber ich musste mich immer beweisen“, sagt die blonde, schlanke Frau.

Steiniger Weg

Sie sitzt auf einem Stuhl im elterlichen Wohnzimmer in Neumarkt, wie es wohl nur Balletttänzerinnen können: Die Beine elegant übereinander geschlagen, ein Fuß spitz gen Boden gerichtet – die 27 Jahre Ballett haben sie geprägt und bis zur Profi-Karriere war es ein weiter, teils auch steiniger Weg: „Ich war zuerst im Kinderturnen bei Wechselbergers. Mit fast sechs Jahren habe ich dann Ballett angefangen, weil meine Eltern fanden, das sei gut für die Haltung.“

Aus dem anfänglichen Hobby mit einmal wöchentlichem Training wurde schnell mehr: Bereits zwei, drei Jahre, nachdem sie mit dem Tanzsport begonnen hatte, wurde sie ins hiesige frisch gegründete Ballettförderzentrum zur Förderung junger Talente aufgenommen – da war sie gerade einmal acht oder neun Jahre alt, trainierte fortan aber schon dreimal in der Woche. „Wir erarbeiteten bestimmte Schrittfolgen und Bewegungen und legten dann Prüfungen darüber ab“, erklärt Aline Schürger.

„Wie die Großen“

Die bescheidene Frau würde es selbst nie so ausdrücken, doch diese Zeit war für sie der Beginn einer großen Karriere: „Ab diesem Moment wollte ich so gut sein wie die Großen, die man bei den Tests sah. Ich wollte mich reinbeißen, um auch auf der Bühne zu stehen.“ Und ihr Eifer blieb nicht unentdeckt: Nahezu zeitgleich mit dem Ballettförderzentrum wurde durch eine Ballettfreundin die damalige Nürnberger Primaballerina auf Schürger aufmerksam: Sie hatte einige Kinder ausgewählt, mit denen die Grande Madame trainieren wollte, um sie weiter zu fördern.

Aus den anfangs 15 bis 20 Stück blieben bald nur noch drei bis vier Kinder übrig – eine davon war Aline Schürger. „Das Training war sehr anspruchsvoll, man musste es wirklich wollen, um das durchzuziehen“, schildert die heute 33-Jährige und erklärt: „Ballett ist Kunst, aber zugleich Hochleistungssport. Man muss fit sein, ständig an seine Grenzen gehen: Blutige Zehen bei den Spitzenübungen gehören ebenso dazu wie wahnsinnig viel Kritik.“

Viele Träume und Verzweiflung habe sie mitbekommen und wusste, dass es nur die Allerwenigsten schaffen. Bei ihr traf jedoch Können und Ehrgeiz auf Glück – Glück, in den richtigen Momenten, die richtigen Leute getroffen zu haben. Und so feierte sie mit 13 Jahren ihren ersten Auftritt bei einer Aufführung im Nürnberger Theater. „Daraufhin durfte ich mehr Aufführungen mittanzen und fuhr auf Wettbewerbe in Italien, Frankreich und der Schweiz.“ Sie ertanzte sich Gold- und Bronzemedaillen und plötzlich stand ihr die Welt offen: „Auf einmal ging es aus der kleinen Stadt in die große, weite Welt“, sagt sie und kann sich ein Lächeln beim Gedanken an diesen Erfolg nicht verkneifen.

Beim Ballett beginnt eine Profikarriere mit 18 Jahren und endet bei vielen mit 30, da das Ballett den Körper sehr aufzehrt. „Dementsprechend gibt es in der Sportart den Rat, die Schule mit der Mittleren Reife zu verlassen und auf eine Tanzakademie zu gehen – Tanzen statt Schule also.“

Abitur in der Hinterhand

Aline Schürger folgte diesem Rat – zum Widerwillen der Eltern – und versuchte mit 16 Jahren ihr Glück beim Tanzkonservatorium in Prag. „Es war aber einfach noch zu früh und so kam ich nach einem Jahr zurück und machte mein Abitur.“ Heute ist sie froh darüber: „Ich habe so viele Tänzer gesehen, die nach dem Ende eines Engagements keine Perspektive mehr hatten: Auf eine Stelle bewerben sich schließlich 500 Tänzer oder noch mehr. So hatte ich immer etwas in der Hinterhand.“

Trotz Schule versuchte sie nebenbei „so viel wie möglich“ zu tanzen und erfuhr dann eher durch Zufall von einem Vortanzen für einen Posten in Amerika. Breit grinsend erzählt sie: „Dann bin ich da ganz dreist hingegangen, hab vorgetanzt und tatsächlich die Stelle bekommen.“ Doch die Kompanie für klassischen und modernen Tanz war neu und irgendwann war für die 40 Tänzer und 50 Musiker kein Geld mehr da.

„Ich war nahe dran, die Schuhe an den Nagel zu hängen“, berichtet Aline Schürger: „Mir wurde bewusst, wie schnell du als Tänzer ohne Job sein kannst.“ Doch erneut fügte sich das Schicksal: „Ich fand sofort neue Arbeit in der Nähe von Seattle: Es war meine erste Solistenstelle.“ Mit der neuen Kompanie reiste die damals 25- Jährige viel durch Amerika. „Ich war oben angekommen, tanzte die Hauptrollen und wusste, mehr geht nicht mehr. Denn auf die richtig großen Bühnen schaffen es nur die absoluten Superstars.“ Und so kehrte Aline Schürger nach einem Zwischenstopp für einen Job in New York nach Deutschland zurück.

Besonderes Souvenir

Doch die Zeit in der Heimat währte nicht lange: Nicht einmal ein Jahr später bekam sie ein Angebot aus Montreal: „Ich hatte während meiner Zeit in Amerika dort mittrainiert und auch meine Bewerbung lag noch dort. Und plötzlich bekam ich die Chance in Montreal aufzutreten. Mittlerweile sind acht Jahre vergangen und Aline Schürger ist Ende August zurückgekommen. Neben den Erinnerungen an die Zeiten in Amerika hat sie sich noch ein besonders Souvenir mitgebracht: „Ich habe in Montreal meinen Freund kennengelernt. Er ist auch Tänzer und nun mit nach Deutschland gekommen.“

Derzeit arbeiten die beiden noch in Augsburg. Doch spätestens im Frühjahr 2015 wollen die beiden endgültig zurückkommen nach Neumarkt. Sowohl Aline Schürger als auch ihre Familie kann damit gut leben: „Endlich sind wir in wenigen Stunden beieinander und brauchen nicht jedes Mal ein Flugticket“, seufzt der Vater zufrieden, während der kleine Neffe an seiner Tante Aline herumzieht und sich freut, nun wieder mit ihr spielen zu dürfen.

Der Kreis schließt sich

Die Kinder haben es der 33-Jährigen sowieso angetan: „Ich habe lange genug selbst getanzt, nun will ich meine Erfahrungen an die jungen Ballerinas weitergeben.“ So sei beispielsweise eine Kooperation mit dem Centrum angedacht. Aline Schürger wirkt zufrieden: „So schließt sich der Kreis: Einmal um die Welt und zurück.“

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