Fahndung im Urwald

24.8.2014, 11:00 Uhr
Die Rohstoffe im Bionorica-Hochregallager liegen auf 720 Europaletten (Stand: Donnerstag). Kathrin Auburger ist mit dafür verantwortlich, dass genug "Drogen“ im Haus sind.

© Günter Distler Die Rohstoffe im Bionorica-Hochregallager liegen auf 720 Europaletten (Stand: Donnerstag). Kathrin Auburger ist mit dafür verantwortlich, dass genug "Drogen“ im Haus sind.

Fahndung im Urwald

Ganz vorsichtig entfernt Kathrin Auburger die Alufolie von zwei Edelstahlschüsseln. Die sind randvoll mit getrockneten und zerkleinerten Kräutern: Ampferkraut und Holunderblüte sind so wohlriechend wie heilsam – beide Pflanzen sind in dem Bionorica-Erzeugnis Sinupret enthalten.

Dass für die Produktion des umsatzträchtigen Medikaments immer genug Grundstoffe im Hochregallager an der Neumarkter Kerschensteinerstraße liegen, dafür ist auch Kathrin Auburger zuständig. Die studierte Biochemikerin und Molekularbiologin fungiert in dem Bionorica-Team als „konzeptionelle Einkäuferin“ und als „strategische Beschafferin“.

„Ich lerne gerade Spanisch“, sagt Kathrin Auburger. Der Kontakt mit den Anbauern der Heilpflanzen soll so reibungslos wie möglich sein, am besten direkt und ohne Dolmetscher. Zum Beispiel auf Mallorca, wo Bionorica unter anderem Thymian, Mönchspfeffer, Rosmarin und Eisenkraut anbauen lässt. Die Vertragsbauern sitzen rund um den Erdball verteilt, unter anderem in Ägypten, zeitweise in Indien, aber auch in Europa: Frankreich und Ungarn beispielsweise. Auch auf anderen osteuropäischen Feldern wachsen heilbringende Kräuter für die Neumarkter Produktion.

Wachstum im Hinterkopf

„Wir planen im Moment bis 2017“, berichtet die Einkäuferin. Sie muss bei Vertragsverhandlungen mit neuen Zulieferern, der Planung von Anbauflächen und Produktionsmengen berücksichtigen, wie stark die Märkte und die Umsätze von Bionorica in den nächsten Monaten voraussichtlich wachsen werden.

Die Einkäufer gehen mit den Bauern sehr ins Detail. Die schicken per E-Mail schon mal Fotos von den Kulturpflanzen, um über den Stand des Wachstums und über drohenden Schädlingsbefall zu informieren. Auch Preisverhandlungen mit den Erzeugern teils in armen Weltregionen sind Sache der Einkäufer. „Eine solche Beziehung ist nicht von Anfang an perfekt, es gibt auch eine soziale Verantwortung“, sagt Kathrin Auburger. So sind Geschäftsbeziehungen nicht schon durch eine schlechte Ernte gefährdet. Bionorica nehme es auch einmal in Kauf, Projekte bei der Stange zu halten, die eine Förderung verdienen — auch wenn sie nicht sofort profitabel sind.

Das wachsende Unternehmen ist immer auf der Suche nach neuen Lieferanten, um den steigenden Bedarf zu decken. Es geht aber auch darum, durch eine gewisse Vielfalt der Standorte das Beschaffungsrisiko der Heilpflanzen zu verringern. Der Bedarf ist enorm. Bei manchen Heilpflanzen rechnen die Botaniker mit dem Faktor 10: Um beispielsweise 500 Tonnen einer getrockneten „Droge“ zu bekommen, müssen 5000 Tonnen ungetrocknete Pflanzen geerntet werden.

Tipps von Forschern

Doch bevor eine medizinisch wirksame Pflanze den Weg auf den Beipackzettel der Arznei findet, muss sie erst einmal entdeckt werden. Bionorica ist deshalb ständig auf der Suche nach interessanten Informationen: Firmenchef Prof. Michael Popp bekommt bei manchem Expertengespräch Hinweise oder er findet in Fachpublikationen vielversprechende Tipps; auch andere Wissenschaftler des Hauses haben die Medienveröffentlichungen genau im Auge oder hören sich auf Kongressen um; hauptberufliche Rechercheure sind weltweit unterwegs, um teils exotische Pflanzen aufzuspüren und zu beschaffen.

„Drug screening“ heißt ein Projekt, das Bionorica gemeinsam mit der Uni Innsbruck seit eineinhalb Jahren betreibt. In der Forschungseinrichtung werden aussichtsreiche Pflanzenkandidaten auf ihre Wirkung genau getestet. Doch vorher müssen sie von den Pflanzenscouts erst einmal aufgespürt werden — oft buchstäblich auf Trampelpfaden durch den Urwald, durch die Steppe oder an verborgenen Plätzen an reißenden Flüssen.

Mehrere Pflanzendetektive sind immer wieder für Bionorica tätig. Recherchiert haben sie unter anderem in Marokko, Mexiko, Indonesien, China oder Chile, aber auch einmal recht unspektakulär an der Ostseeküste. Für Forschungszwecke müssen die Scouts in der Regel etwa zehn bis 20 Kilogramm einer getrockneten Pflanze auftreiben und nach Deutschland beziehungsweise Österreich ins Labor bringen.

Hürden am Zoll

Das Spektrum der begehrten Pflanzenteile ist umfassend: Die Wissenschaftler können sich für Früchte, Blätter und Zweige, aber auch für Wurzeln interessieren. Letztere können dann in manchen Ländern spätestens an der Zollschranke zum Problem werden.

Die südafrikanischen Behörden beispielsweise sind nicht sehr begeistert, wenn Ausländer Wurzelteile außer Landes bringen wollen. Hier sind auch die Scouts gefragt, um behördliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Kathrin Auburger: „Unser Partner versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, wenn es bei der Ausfuhr Schwierigkeiten gibt.“

Die Biochemikerin hat seit April 2013 erfolgreich an der Beschaffung von 45 Heilpflanzen mitgewirkt. Auf das Team wartet noch ein ziemliches Pensum: Mittelfristig sollen sie 60 bis 100 einzelne Arten aufspüren. Das Großprojekt: ein neues Präparat gegen Magen- und Nervenkrankheiten.

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