Friedhof als beredter Zeuge jüdischen Lebens

9.7.2016, 15:47 Uhr
Friedhof als beredter Zeuge jüdischen Lebens

© Fotos: Günter Distler

Die Teilnehmer waren sich hinterher einig: „Das war eine klasse Idee“, dass Sieglinde Harres, die Vorsitzende des Neumarkter Seniorenbeirates, zum Rundgang über den jüdischen Friedhof eingeladen hatte. Denn eine Umfrage unter den älteren Menschen hatte ergeben, dass fast 87 Prozent dieses Gräberfeld nicht kennen.

Die 18 Kinder- und 84 Erwachsenengräber liegen überwiegend schön schattig unter einer 100 Jahre alten Linde und einigen jüngeren Eichen. Auch der Friedhof ist noch relativ jung, wurde er doch erst 1880 angelegt. Die erste Beerdigung hier fand drei Jahre später statt, die letzte wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Salomon Oettinger, Julie Feuchtwanger — die Namen auf den Grabsteinen, die meist noch gut lesbar sind, zeugen von den jüdischen Familiendynastien, die einst in Neumarkt lebten.

Jüdisches Leben, so führte Georg Ziegler, Leiter der Stadtgärtnerei und Gästeführer, aus, gab es in Neumarkt bereits im 13. Jahrhundert. Das erste Pogrom fand freilich bereits 1298 statt, als fanatisierte Christen unter Führung des verarmten Reichsritters Rintfleisch begannen, die jüdischen Gemeinden in Nordbayern zu vernichten. Auch in der Jurastadt wurden die Juden aus ihren Häusern verjagt. Der Überlieferung nach kamen damals etwa 75 Menschen — nicht nur Juden, sondern auch katholische Neumarkter, die sich schützend vor sie gestellt hatten — am heutigen Residenzplatz, wo sich wahrscheinlich eine Synagoge befand, ums Leben.

Ritualbad zu besichtigen

1348 durfte sich erneut ein Jude in Neumarkt ansiedeln. Das Schreiberhaus, heute das älteste Wohnhaus der Stadt, 1430 errichtet, muss ebenfalls einen jüdischen Besitzer gehabt haben. Im Keller des Gebäudes ist heute noch eine Mikwe, ein Ritualbad, zu besichtigen. 1391 und 1556 wurden die Juden abermals aus Neumarkt verbannt und flüchteten sich nach Sulzbürg, das auf eine über 600-jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde zurückblicken kann.

Erst ab 1862 seien wieder Juden in Neumarkt „geduldet“ worden, erklärte Georg Ziegler. Salomon Oettinger bekam das Bürgerrecht, zwölf weitere jüdische Familien zogen von Sulzbürg nach. „Das waren durch die Bank honorige Geschäftsleute, die Stadt hat davon profitiert“, weiß Ziegler. Ihren höchsten Stand erreichte die jüdische Bevölkerung in Neumarkt um 1890, wo sie mit rund 170 Personen etwa drei Prozent der Einwohnerschaft stellte. Danach gingen die Zahlen zurück, bis die Nazis die letzten 19 Juden 1942 in die Konzentrationslager im Osten deportierten, wo sie alle umkamen. Das Schicksal der Shoah-Opfer ist dank der Arbeit des inzwischen verstorbenen Hans Georg Hirn, Autor des Buches „Jüdisches Leben in Neumarkt und Sulzbürg“, gut dokumentiert.

Damit endete das jüdische Leben in Neumarkt. 1945 kehrte nur noch Siegfried Rindsberg hierher zurück. Georg Ziegler ist sich nicht sicher, ob dessen Nachfahren noch hier leben, und vermutet, dass diese längst zum evangelischen Glauben konvertiert sind.

Auf dem 940 Quadratmeter großen jüdischen Gräberfeld in der Gießereistraße, das heute in städtischem Besitz und von der Israelitischen Kultusgemeinde gepachtet ist, befindet sich außer den Gräbern noch ein kleines Taharahaus, wo sich einst der Schomil um die Toten kümmerte und das heute als Wohnhaus genutzt wird.

Die meisten Gräber haben noch Steine, die — wie es im jüdischen Glauben Brauch ist — eine einheitliche Form und Beschriftung haben. Auf allen steht als Schlussformel der Spruch: „Er möge eingebettet sein in das Buch des Lebens.“ Im Gegensatz zu anderen jüdischen Friedhöfen, die mit ihren umgestürzten Steinen oft einer Steinwüste gleichen, macht das Neumarkter Gräberfeld einen sehr aufgeräumten und naturnahen Eindruck. Anders als auf heutigen christlichen Gottesackern ist die Liegezeit auf jüdischen Friedhöfen nicht begrenzt. Bunte Blumen sucht man hier vergeblich. Besucher legen allenfalls kleine Kieselsteine auf das Grab.

Der jüdische Friedhof in Neumarkt, Gießereistraße 4, ist normalerweise verschlossen. Georg Ziegler von der Stadtgärtnerei hat den Schlüssel, den er auf Wunsch an interessierte Besucher herausgibt (* 0 91 81/ 26 38-30). Wesentlich größer ist der Friedhof in Sulzbürg.

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