"Grantler der Architektur" hält nichts vom Smart Home

20.10.2017, 14:00 Uhr

© Foto: Andreas Schmid

Sein Werkbericht trug den Titel "Moderne Architektur", als erstes Objekt erschien eine zweistöckige Villa mit Walmdach, einem Thermenfenster und einem Portikus mit ionischen Säulen auf der Leinwand. "Modern?" mag sich der Betrachter fragen, "Thermenfenster und Portikus?" werden die Vertreter der reinen Architekturlehre nörgeln.

Und was sagt Paul Kahlfeldt dazu? "Wir sollten und wollten einfach nur ein schönes Haus bauen – modern, aber nicht modisch." Nun ist Schönheit ja bekanntlich relativ, doch der Professor konkretisiert dieses am Ende so wichtige Kriterium: "Wir sind immer wieder begeistert von der Architektur historischer Stadtbilder und ihrer Schönheit. Drum frage ich mich immer wieder: Warum bauen wir es denn nicht?" Besagte Villa ist Anfang der 1990er Jahre entstanden unter dem Aspekt: Wenn ein Haus 200 Jahre nach seinem Bau noch als schön empfunden wird, dann wird dies auch nach weiteren 200 Jahren der Fall sein – Nachhaltigkeit nicht nur im Sinne von Rohstoffen.

Gutes wiederholen

Paul Kahlfeldt kämpft für eine Besinnung auf technische und gestalterische Grundwerte: "Es gibt so viele Dinge, die man nicht mehr verbessern kann, sind sie einmal erdacht und entworfen." Deshalb sollte man auch den Mut haben, sich dazu zu bekennen anstatt sie zu verschlimmbessern: "Ich habe nicht das geringste Problem damit, etwas Gutes einfach nachzubauen, sei es aus der Antike oder aus der Moderne." Römische Baumeister hat er dabei ebenso vor Augen wie Le Corbusier, Gropius und van der Rohe.

Auch bei einem Blick in seine Häuser wird klar, was er damit meint: Klassische Gestaltungselemente wie Parkett im Fischgrätmuster, doppelflügelige Türen zum Wohnbereich, die eine oder andere Säule und diagonal verlegte Marmorfliesen korresponieren mit ebenso modernen wie schlichten Funktionseinbauten in Küche und Bad. In einer klassisch gestalteten Villa in Mannheim hat Kahlfeldt beispielsweise eine Glasscheibe von 8,40 Meter auf drei Meter eingesetzt. Es ist die bislang größte in einem Privathaus verbaute Scheibe – für einen freien Blick auf den benachbarten Park.

Seine Philosophie der Wertigkeit, der natürlichen Materialien und der durchdachten Konstruktion liegt auch seinen Entwürfen für Gewerbe- und Geschosswohnungsbauten zugrunde. Ein Bauwerk, mit dem er an Berlins Flaniermeile Unter den Linden eine Lücke geschlossen hat, steht dafür exemplarisch. Auch hier ruht auf vier Säulen ein Portikus, die Fassade besteht aus Naturstein und greift den Säulenverlauf in den Obergeschossen fein gegliedert wieder auf.

Bei der technischen Ausstattung eines Wohnhauses lautet des Professors Credo: soviel wie nötig, so wenig wie möglich. Der scheinbar grenzenlosen technischen Aufrüstung in Richtung Smart Home erteilt er damit eine klare Absage. Nicht nur, um den technischen Aufwand samt der knapp 50 Kilometer Kabelstränge, die ein nach dem heutigen Stand digitalisiertes Einfamilienhaus mittlerweile benötigt, zu reduzieren, sondern auch, um die Funktionssicherheit zu gewährleisten: "Häufig wird zwei Jahre lang eingestellt und optimiert, und wenn dann tatsächlich alles funktioniert, kommt die nächste Optimierungsstufe – und das Ganze beginnt von vorn." Eine Art l’art pour l’art auf technischer Ebene.

Als übers Ziel hinaus geschossen bewertet Paul Kahlfeldt auch so manche dämmtechnische Umsetzung der Energiesparverordnung. Würde man auf bewährte bautechnische Grundsätze zurückgreifen und mehr natürliche Materialien einsetzen, würde so manchem zeitgenössischen Bauwerk und seinen Bewohnern eine Isolierkannen-Atmosphäre erspart bleiben.

Es geht um die Sache

Nun ist er beileibe kein Fortschrittsverweigerer, sondern nutzt konsequent moderne Produktionstechniken und Logistikmethoden. Was ihn stört, ist der nahezu neurotisch anmutende Zwang zur Innovation, der (nicht nur) in der Architektur einen künstlichen Druck erzeugt. Kahlfeldt vergleicht die Situation mit dem Pöstchengerangel in der Politik: "Einer meint, den anderen übertrumpfen zu müssen, um die höhere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verliert die eigentliche Sache dabei aber aus dem Blickfeld." Auch die inflationäre Verbreitung von Architektenwettbewerben, die die Berufsverbände obendrein noch einfordern, wirkt unter anderem auch in diesem Punkt kontraproduktiv.

Der Professor nimmt sich Zeit zum Nachdenken: "Architektur besteht immer noch zu 50 Prozent aus Bauen und zu 50 Prozent aus Nachdenken." Seine gleichgesinnte Kundschaft dankt es ihm und auch dem Mut, zu manchem Mainstream gezielt Nein zu sagen.

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