Lehrreicher Tag auf unbekanntem Gräberfeld

29.4.2011, 00:00 Uhr
Lehrreicher Tag auf unbekanntem Gräberfeld

© Fellner

Sie habe ihr Leben in Neumarkt verbracht, erklärte eine staunende Frau, aber hier sei sie noch nie gewesen: Mit großen Augen musterte sie die dunklen Grabsteine des jüdischen Friedhofs, versuchte, die Inschriften zu entziffern. Eine andere hatte als Kind vom städtischen Friedhof auf der anderen Seite der Mauer herüber gelinst auf dieses unbekannte Gräberfeld, von dem niemand etwas wissen wollte. Aber in den jüdischen Friedhof selbst hatte sie nie einen Fuß gesetzt. Bis gestern.

Vor dem Besuch auf dem Gottesacker hatten sich rund 35 Frauen und Männer im Gasthaus getroffen; dort wartete Hans Georg Hirn. Der Neumarkter hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Geschichte der im Dritten Reich ausgelöschten jüdischen Gemeinde Neumarkts zu erforschen. Heuer soll das Werk in zwei Bänden in der Schriftenreihe des historischen Vereins erscheinen.

Profund führte Hirn durch die Jahrhunderte, die wechselvolle Geschichte der jüdischen Neumarkter. Die erste Erwähnung, dass es in Neumarkt Juden gab, findet sich „im Ried“, dem bisher einzigen umfassenden Werk zur Stadtgeschichte, ausgerechnet in Verbindung mit den Rindfleisch-Pogromen: Damals, am 27. Juli 1298, töteten und verbrannten die Neumarkter ihre jüdischen Mitbürger und auch katholische Neumarkter, die sich schützend vor sie gestellt hatten, in der Synagoge am heutigen Residenzplatz. 65 Tote zählte man.

Im Jahre 1348 durfte sich erneut ein Jude in Neumarkt ansiedeln. Das Schreiberhaus, heute Neumarkts ältestes Wohnhaus, 1430 errichtet, muss ebenfalls einmal einen jüdischen Besitzer gehabt haben. Im Keller des Gebäudes fand sich bei der Sanierung eine Mikwe, ein Ritualbad.

Am 1. August 1886 war die Einweihung der jüdischen Synagoge in der Hallertorstraße, die die Nazis am 9. November 1938 schändeten und zerstörten. Zu ihren besten Zeiten stellte die jüdische Gemeinde 2,8 Prozent der Bevölkerung. Von der Pogromnacht bis in die Konzentrationslager war der Weg dann nicht mehr weit: Über 40 jüdische Neumarkter wurden in den Todesfabriken ermordet.

Beispielhaft stellte Hans Georg Hirn die Schicksale einiger jüdischer Neumarkter vor, auch der Familien Haas oder Neustädter. „Schauns, was wir zuhause haben“, sagte eine Zuhörerin und holte aus einem Einkaufsbeutel einen Kleiderbügel heraus: Der war mit dem Namen von Adolf Baruch verziert, einem jüdischen Geschäftsmann, der ein Bekleidungshaus in Neumarkt besessen hatte.

Danach ging es auf den jüdischen Friedhof. Hier erklärte Hirn die Bestattungsrituale, zeigte die Gräber. Der Friedhof war 1879 angelegt worden. Die erste Beerdigung war 1883, Lina Oettinger wurde beigesetzt. Weil es keine jüdische Gemeinde mehr gibt in Neumarkt, ist der Friedhof heute ein stiller Fleck, den kaum einer mehr kennt.